EM 2008: Spaniens Triumph mit Tiki-Taka

Wien (dpa) – Philipp Lahm kommt ausnahmsweise ein paar Schritte zu spät, Fernando Torres schießt den Ball am herausstürzenden Jens Lehmann vorbei – und dann rutscht der spanische Stürmer auf den Knien Richtung Eckfahne.

Das war die entscheidende Szene im Finale 2008: Nach 44 Jahren und mit dem 1:0 gegen Deutschland im Wiener Ernst-Happel-Stadion feierten die Iberer wieder einen EM-Titel. Der Triumph des Tiki-Taka. Der Stil prägte die goldene Generation – und wurde zum Vorbild vieler Fußball-Taktiker.

Die deutsche Nationalmannschaft hatte an jenem 29. Juni nicht viel entgegenzusetzen. Torres‘ Treffer vor 51 428 Zuschauern fiel bereits in der 33. Minute, Torhüter Lehmann bekam danach noch allerhand zu tun. «Es ist immer enttäuschend, ein Finale zu verlieren. Aber die Spanier haben nicht unverdient gewonnen», sagte Michael Ballack. Mit vorgeschobener Unterlippe saß der Kapitän später auf dem Rasen und schaute dem wilden Treiben der Europameister zu. Torres hatte bei der Pokalübergabe und Ehrenrunde die spanische Flagge wie einen Rock um seine Hüften drapiert.

«Hätten wir die Euro nicht gewonnen, dann hätten wir die Weltmeisterschaft 2010 auch nicht gewonnen», sagte Xavi Hernández später einmal. Im «Team des Turniers» standen neben dem nur 1,70 Meter großen, genialen Passgeber fünf weitere Spanier: Torhüter Iker Casillas, die Abwehrrecken Carlos Puyol und Carlos Marchena, der gebürtige Brasilianer Marcos Senna und David Villa, mit vier Treffern Torschützenkönig der EM.

«Wir müssen die hohe Qualität der Spanier anerkennen», meinte Bundestrainer Joachim Löw nach dem weitgehend aussichtslosen Endspiel. «La Furia Roja» («Die rote Furie»), die so gar nicht wütend, sondern ungemein ballsicher und abgeklärt auftrat, wackelte nur im Viertelfinale: Gegen Weltmeister Italien musste ein Elfmeterschießen her. Ansonsten waren die Spanier eine Klasse für sich – vor allem Xavi und Andrés Iniesta im Mittelfeld, Torres und David Villa im Angriff.

«Campeones!!! Spanien verführt Europa! Es war herrlich, gerecht und notwendig», titelte die Zeitung «AS». Und «El Pais» schrieb: «Endlich Champions! Es gibt viele Wege, die zum Erfolg führen – aber selten war ein Erfolg so verdient wie dieses Mal.»

Luis Aragonés hatte es geschafft, ein unverwechselbares Kurzpassspiel zu prägen. Mit 69 Jahren und 338 Tagen ist er bis heute der älteste Trainer, der je eine Mannschaft zum EM-Titel führte.

Rund eine Million Madrilenen bereiteten ihrer Selección zu Hause einen begeisterten Empfang. Der am meisten gefeierte Held war weder Torres noch Xavi, sondern der weißhaarige Trainer-Oldie. Zwei Jahre zuvor, als Spanien bei der WM in Deutschland vorzeitig scheiterte, hatte ihn so mancher zum Teufel gewünscht. Als Aragonés‘ Abschied besiegelt war, wollten alle, dass er bleibt. Vicente del Bosque stand aber quasi vor der Tür. «Wir kommen nicht zurück, wenn der Mister nicht mehr da ist», sangen die Nationalspieler auf dem Heimflug von Wien nach Madrid. Aber nicht nur Kapitän Casillas musste bald einsehen: «Ich glaube, da ist nichts mehr zu machen.»

König Juan Carlos und Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero empfingen die Helden von Wien Zarzuela-Palast. «Wir haben hier keine Decke, um dich darin zu wiegen», scherzte der Monarch.

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(dpa)