Gnade für Russland vor Leichtathletik-WM in Sicht

Frankfurt/Main – Russlands Leichtathleten dürfen bei der anstehenden WM in Doha auf einen Start unter eigener Fahne hoffen. Der Weltverband IAAF könnte am Montag den Weg für eine Aufhebung der Sperre wegen des Dopingskandals frei machen.

IAAF-Präsident Sebastian Coe betonte vor der Council-Sitzung im Interview des britischen Senders BBC aber auch: «Wir machen keine Deals in unserem Sport. Wir haben Kriterien. Für mich war diese Philosophie einfach und wichtig.» Die IAAF müsse wissen, dass der russische Verband «fit und in Form ist, um wieder eigene Verantwortung übernehmen zu können».

Für die WM vom 27. September bis zum 6. Oktober in Katar hat der russische Verband RUSAF nur 29 Sportler nominiert, obwohl die IAAF rund 130 Athleten die Genehmigung für internationale Starts in diesem Jahr erteilte. Bei der WM 2017 holte Russland sechs Medaillen. Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio sowie den danach folgenden Welt- und Europameisterschaften durfte das Land nur unter neutraler Flagge und mit von der IAAF geprüften einzelnen Athleten antreten.

Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes hält es für notwendig, dass Russland alle Bedingungen erfüllt. Jürgen Kessing plädiert aber auch dafür, dass «die Bereitschaft, das russische Team wieder zu integrieren», da sein sollte.

Das IAAF-Council hatte zuletzt im Juni die Suspendierung des Landesverbandes RUSAF nicht aufgehoben. Ein Grund: Nach dem aufgedeckten Staatsdoping sollen gesperrte Trainer angeblich weiter Athleten betreuen. Zudem ist die Auswertung der Doping-Daten und -Proben aus dem Moskauer Analyselabor, die nachträglich Aufschluss über Vergehen von Athleten geben können, nicht beendet.

Die IAAF ist die letzte internationale Sportorganisation, die den im November 2015 verfügten Bann Russlands noch nicht aufgehoben hat. «IAAF-Präsident Sebastian Coe hat konsequent und klar gehandelt und international Akzeptanz und Ansehen für sich persönlich und die Leichtathletik gewonnen», meinte Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Auch Dagmar Freitag (SPD), die Sportausschuss-Vorsitzende des Bundestages, zollte der IAAF Respekt, so beharrlich bei ihrer «Linie geblieben zu sein».

Das Internationale Olympische Komitee hatte die Sperre Russlands bereits im Februar 2018 nach den Winterspielen in Pyeongchang aufgehoben. Die Welt-Anti-Doping-Agentur begnadigte das Land – trotz weltweiter Proteste – sieben Monate später, obwohl nicht alle Bedingungen erfüllt worden waren, und verfügte die Wiederzulassung der Anti-Doping-Agentur des Landes. Daraufhin hob auch das Internationale Paralympische Komitee im Februar 2019 die Sperre auf.

«Die IAAF ist das letzte Bollwerk und orientiert sich an den selbst definierten Kriterien für die Wiederaufnahme», sagte der frühere deutsche Verbandschef Clemens Prokop. Es sei aber inzwischen viel geschehen und erreicht worden. «Ich denke, dass in absehbarer Zeit Russland von der IAAF wieder zugelassen wird», erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt in Regensburg. Sportpolitisch halte er eine vollständige Rückkehr der Sportmacht für wichtig: «Wenn wir von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen sprechen und man die weltbesten Sportler haben will, ist Russland ein wichtiger Teil.»

Ähnlich zwiegespalten ist Thomas Röhler. «Die Konsequenz, mit der gehandelt wurde und wird, ist gut», sagte der Speerwurf-Olympiasieger, der Mitglied der IAAF-Athletenkommission ist. «Für den Fan wird es langsam schwer, nachzuvollziehen, dass und warum da mehr ANAs – also unter neutraler Flagge startberechtigte russische Athleten – auftauchen. Man weiß gar nicht, wer aktuell nicht mehr starten darf.»

Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ist immer gegen einen Kollektivausschluss und für eine schnelle Rückkehr Russlands in den Weltsport eingetreten – was zu Spannungen zwischen IOC und IAAF führte. «Jeder Verband muss seine Entscheidung nach seinen Gegebenheiten treffen», sagte Bach deshalb diplomatisch. «Das hat die Leichtathletik getan, weil sie auch von dieser Manipulation des Anti-Doping Systems am meisten betroffen war. Daher hat sie diesen Weg eingeschlagen, um für einen fairen Wettbewerb zu sorgen.»


(dpa)

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