Löw taucht ab – Spekulationen um Nachfolger blühen

Frankfurt – Joachim Löw ist weg – erstmal. Ob er nochmal als Bundestrainer auftaucht, ist ungewiss. Die Debatten um die Zukunft der in Russland stark beschädigten Nationalmannschaft und die Rolle des abgestürzten Weltmeister-Trainers halten unvermindert an.

Auch über mögliche Löw-Nachfolger wird bereits eifrig spekuliert. Der deutsche Fußball ist schwer angeschlagen, «wir sind am Boden», sagte Löw selbst. «Vor vier Jahren waren wir ganz oben – jetzt sind wir brutal gefallen. Das sind die Tage im Leben eines Fußballspielers, für die dich niemand beneidet», beschrieb der Münchner Abwehrspieler Jérôme Boateng in Worten seine Gefühlswelt.

Verbandschef Reinhard Grindel und Manager Oliver Bierhoff wissen: Die nächsten Entscheidungen gerade bei der Position Bundestrainer müssen sitzen, um zwei Jahre vor einer halben Heim-Europameisterschaft nicht vollständig den Anschluss zur Spitze zu verlieren. Falls Löw in der kommenden Woche hinschmeißt oder der DFB von dessen Plänen nicht mehr restlos überzeugt wäre, müssten Grindel und Bierhoff schnell als Bundestrainer-Sucher ran. Denn einen Plan B gibt es bisher nicht.

Es wäre ein schwieriges Unterfangen. Die potenziellen Löw-Nachfolger sind nicht frei. Jürgen Klopp (FC Liverpool) und Thomas Tuchel (Paris Saint-Germain) haben langfristige Verträge bei europäischen Spitzenclubs. Der junge Hoffenheim-Coach Julian Nagelsmann (30) hat für 2019 schon bei RB Leipzig unterschrieben. Jupp Heynckes ist 73 und gerade zum dritten Mal in den Ruhestand gewechselt. Die Löw-Assistenten Thomas Schneider und Marcus Sorg sind durch das Vorrunden-Aus mit beschädigt. Auch andere verbandsinterne Lösungen wie mit U21-Coach Stefan Kuntz scheinen wenig realistisch.

Der Österreicher und Ex-Leipziger Ralf Hasenhüttl (50) ist derzeit ohne Job genau wie der Franzose Arsène Wenger (68). Der Elsässer spricht Deutsch, gilt nach seinem Abschied nach vielen Jahren beim FC Arsenal aber nicht als innovative Zukunftslösung. Zudem wäre es eine Zeitenwende beim DFB, wenn als elfter DFB-Cheftrainer – Otto Nerz war 1927 der erste – kein Deutscher das höchste Traineramt im Lande ausüben würde.

Erst einmal aber geht es noch um Aufarbeitung. «Wir müssen knallhart intern diskutieren», sagte Bierhoff. Schon vor der größtmöglichen WM-Blamage hatte der für die Zukunftsausrichtung verantwortliche DFB-Direktor auf den Nachholbedarf in allen Segmenten hingewiesen: Vom Jugendbereich über die Bundesliga bis hin zum wichtigsten Aushängeschild Nationalelf.

«Es gibt ja nicht nur einen Grund oder die einzige Sache, die zum Scheitern beigetragen hat. Es gibt mehrere Gründe», erklärte Löw, bevor er sich für unbestimmte Zeit zur Entscheidungsfindung irgendwo in seine private Welt zurückzog. Der 58-Jährige will und muss herausfinden, welchen Anteil er sich persönlich vier Jahre nach dem WM-Triumph in Brassilien am Versagen, an der größten sportlichen Krise seit 14 Jahren anlastet. «Das ist meine Verantwortung, das zu tun», unterstrich Löw. «Die Fans erwarten tiefgreifende Veränderungen», erklärte DFB-Boss Grindel.

2004 war das DFB-Team unter Rudi Völler bei der EM in Portugal ähnlich dramatisch wie jetzt in der Vorrunde gescheitert. Danach folgten solche tiefgreifenden Veränderungen: Die Legende «Ruuuudi» machte Platz, damit die Nationalmannschaft die Heim-WM 2006 unbelastet angehen konnte. Jürgen Klinsmann kam als Visionär. Jetzt steht der Verband vor einer ähnlichen Situation.

Die EM 2020 geht als multikulturelles Turnier in zwölf europäischen Städten über die Bühne. Für das deutsche Team und die Fans kann es wieder zu einem Sommermärchen werden im eigenen Land, zumindest ein kleines: In der Vorrunde finden zwei Spiele in München statt, auch das Mannschafts-Quartier soll in Deutschland aufgeschlagen werden. Die Verantwortlichen müssen das nutzen, um das arg angekratzte Image des viermaligen Weltmeisters und dreimaligen Europameisters auf dem Rasen und auch außerhalb der Stadien wieder aufzupäppeln.

Denn nach dem WM-Titel 2014 ist das Kunstwerk Nationalmannschaft der Wirklichkeit mehr entrückt als je zuvor. Außer als zahlendes Publikum haben die Fans keine Möglichkeit mehr, ihren Lieblingen zumindest etwas näher zu kommen. Schon im Trainingscamp in Südtirol ließ der DFB seine Stars immer hinter riesigen Sichtschutzwänden trainieren. Nur Partner und Sponsoren durften einmal auf dem Übungsplatz zuschauen. Die Spieler wurden auch in Russland in Watte gepackt. Ein riesiger Betreuerstab von mehr als 50 Leuten kümmerte sich um jede Kleinigkeit.

Anscheinend funktioniert diese Parallelwelt nicht. Im wichtigsten Bereich, dem Fußball, versagte das Raumschiff Nationalmannschaft. Torwart Marc-André ter Stegen sieht nach dem erschütternden Vorrunden-Aus zwei zentrale Maßnahmen: «Wir müssen viel nachdenken und als Mannschaft miteinander reden.» Und: «Wir müssen härter arbeiten, um die Dinge besser zu machen.» Nach dem Absturz müsse man jetzt überlegen: «Was sind die richtigen Maßnahmen?», sagte Löw vor seinem Abtauchen: «Das müssen wir jetzt besprechen, wie wir das tun.» Auf die Ergebnisse wartet ganz Deutschland.


(dpa)

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