Nächster Traum: Islands Helden gegen England

Saint-Denis (dpa) – Als Islands Fußball-Helden am Donnerstag aus ihren Betten stiegen, wähnten sie sich immer noch in einem Traum. Doch die märchenhafte Geschichte war auch am Morgen danach wahr.

Das Team der selbst ernannten besten Freunde steht tatsächlich zum ersten Mal im Achtelfinale einer Europameisterschaft. Und dieses außergewöhnliche EM-Kapitel findet mit dem Spiel gegen England am kommenden Montag seinen nächsten Höhepunkt.

«England ist mein Dream-Team. Ich habe mit ihnen gejubelt, als ich noch jung war und mir immer alle Spiele von ihnen bei EM und WM im Fernsehen angeschaut», sagte der völlig euphorisierte Jon Dadi Bödvarsson nach dem 2:1-Erfolg gegen Österreich. England sei «ein Traum, der sich erfüllt», sagte auch sein Kumpel Kari Arnason, der die große Stärke dieses vermeintlichen Underdogs so zusammenfasste: «Wenn man das hier alles mit seinen besten Freunden durchlebt, dann ist das wirklich fantastisch. So fühlen wir uns alle, als Einheit.»

Die knapp 10 000 Fans im Stade de France hatten Arnason, Bödvarsson, Sigthorsson und Co. auch vor solchen Sätzen schon in ihr Herz geschlossen. Alles, was auf den Rängen blau gekleidet war, feierte über 90 Minuten lang eine große Fußball-Party und drehte nach dem Abpfiff völlig durch. Spieler, Trainer und Betreuer spurteten zu ihrer Fankurve und tanzten minutenlang mit der Landesflagge auf dem Rasen. Von einigen Akteuren hüpften sogar Opa, Oma, Bruder oder Schwester wie verrückt in der Fankurve mit. «Ich kenne wahrscheinlich die Hälfte dieser Fans. Es ist, als hätte man seine Familie hier am Spielfeldrand», sagte Arnason.

Der historische Erfolg schien einigen Isländern sogar kurzfristig gesundheitliche Probleme bereitet zu haben. Ein Fernsehreporter hatte sich beim späten Siegtreffer durch Arnor Ingvi Traustason (90.+4) dermaßen in Ekstase geschrien, dass ihm zwischenzeitlich die Stimme versagte. Die gute Nachricht: Er hat überlebt. Ein kurzer Auszug seiner Reportage: «Meine Stimme ist weg, aber das ist egal. Wir sind durch. Arnor Ingvi Traustason hat getroffen. Island 2, Österreich 1. Wer hätte das gedacht!» Allein 1,5 Millionen Aufrufe hatte dieses Video am Donnerstagmorgen bei Facebook.

Die Mannschaft der beiden Trainer Heimir Hallgrimsson und Lars Lagerbäck wird am Montag in Nizza alles dafür tun, damit der Mann wieder an seine gesundheitliche Grenze geführt wird. Gegen die Engländer kommt es dort zu einem Duell, das ungleicher kaum sein könnte. Die englische Bevölkerung ist rund 165 mal größer als die des kleinsten Landes, das jemals an einer EM teilgenommen hat. Die einzige Gemeinsamkeit der beiden Völker ist vielleicht die Vorliebe für gewöhnungsbedürftiges Essen: Geräucherter Schafskopf gilt in Island als Spezialität. Fußballerisch werden Wayne Rooney und Co. aber in einer anderen Liga verortet.

«Eine sehr kreative Mannschaft mit hoher individueller Klasse», lobte Hallgrimsson. «Aber wenn man sich unsere Leistung ansieht, dann habe ich keine Angst vor England.» Sein schwedischer Trainerkollege Lagerbäck hat sogar ganz gute Erinnerungen an den nächsten Gegner. «Als ich noch Nationaltrainer Schwedens war, habe ich fünf, sechs Mal gegen England gespielt – und nie verloren», sagte der 67-Jährige grinsend. Anschließend verschwanden Lagerbäck, Hallgrimsson und ihre Spieler mit müden Beinen in Richtung Mannschaftsbus.

In der Heimat dachten da schon einige an mögliche politische Folgen des sensationellen EM-Erfolgs. Am Samstag steht in Island die Präsidentenwahl an. Von den rund 320 000 Einwohnern können einige aber gar nicht wählen, weil sie in Frankreich sind. «Vielleicht sind viele Leute am Wahltag mehr an Fußball interessiert als an der Wahl», sagte der Politikwissenschaftler Baldur Thorhallsson dem isländischen Sender RUV. «Wir wissen, dass Tausende Isländer in Frankreich sind. Nun hört man schon, dass viele ihren Aufenthalt verlängern.» Und Lagerbäck sorgte dafür, dass wohl noch einige weitere die Reise antreten werden: «Jeder, der nach Frankreich kommen will, ist herzlich willkommen.»

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(dpa)