Robert Harting geht – und was kommt nach dem letzten Schrei?

Berlin – Die Plakate hängen schon überall in Berlin, und auch in seiner Weißenseer Lieblings-Pizzeria spricht man den Riesen mit dem Vollbart etwas wehmütig auf seinen nahenden Abschied an. Robert Harting hat fertig.

Nicht mit 66 wie bei Udo Jürgens- mit 33, da fängt das Leben an. Das zweite Leben. Eine neue Ära nach zwölf Jahren Hochleistungssport. Künftig ist seine Welt keine Scheibe mehr. Sein Diskus, mit dem er an diesem Sonntag im Olympiastadion den allerletzten Wurf macht, landet zu Hause in der Vitrine. Wie seine anderen unzähligen Sport-Trophäen.

Der Countdown läuft. Aber was kommt dann? Die große Leere? Ein tiefes Loch? Nicht bei Robert Harting. Der Mann hat noch viel vor – und dafür will er sogar 90 werden. «Ich hab‘ ja nicht mehr so viele Aufgaben in meinem Leben, aber dafür größere. Also: Eine Familie gründen. Kinder groß ziehen. Für die Eltern da sein, wenn sie mich brauchen. Einen Job finden, der meine Leidenschaft berührt», sagt der 33-Jährige in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

«Das sind also vier Sachen, und für jede habe ich ungefähr 15 Jahre Zeit. Grob gesagt. Da bin ich dann irgendwas über 90», erzählt der Olympiasieger schmunzelnd, aber irgendwie doch ernst gemeint.

«DerHarting», wie er in den sozialen Netzwerken firmiert, muss sein Leben jetzt neu ordnen. Er hatte zwar immer einen Plan, aber die Zukunft ist unberechenbar. «Was ich ab 1. Oktober mache, weiß ich noch nicht. Fakt ist, dass ich nur noch bis zum 30. September bei der Bundeswehr angestellt bin», sagt der gebürtige Lausitzer. «Im Juli wurde mir mitgeteilt, dass ich wie vermutet nicht weiterbeschäftigt werde. Wenn meine planmäßige Entlassung dann offiziell ist, muss auch ich erst mal den normalen Weg gehen und mich beim Arbeitsamt melden. Das wird alles neu für mich.»

Seine Frau Julia, die er in der Schule kennen lernte, ist auch eine erfolgreiche Diskuswerferin. Doch jetzt, mit 33, für immer aus dem Ring zu steigen, «das war zu 100 Prozent meine Entscheidung», versichert Harting. «Ich bin extrem neugierig und möchte nie etwas verpassen. Was jetzt noch kommt, das interessiert mich sehr. Ich freue mich, ein bisschen Fantasie anzuwenden. Tief nachzudenken – aber nicht schwer, sondern offen und frei.»

«Der letzter Schrei» – das Motto des ISTAF passt. Alles bei dem traditionsreichen Leichtathletik-Meeting ist auf Robert Harting zugeschnitten. Der bärtige Coverboy auf dem Programmheft ist der Publikumsliebling in seinem Wohnzimmer, wo er 2009 den ersten von drei Weltmeistertiteln erkämpfte – und sich martialisch das Trikot zerriss. Wo er vor drei Wochen bei seiner letzten Europameisterschaft auch als Sechster von 37 000 Zuschauern noch einmal lautstark gefeiert wurde. Am Sonntag werden ihm noch sehr viel mehr zujubeln, wenn um 16.30 Uhr die Präsentation der Diskuswerfer beginnt.

Elf Europameister von Berlin, insgesamt 29 EM-Medaillengewinner, werden für ein rauschendes Leichtathletik-Fest sorgen – non-stop in drei Stunden. Die Abschiedsparty für Robert Harting dürfte der Höhepunkt werden. Und was macht der Local Hero am 3. September, am Montag nach seinem allerletzten Wettkampf? Harting grinst: «Ausnüchtern.»


(dpa)

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