S04-Sportvorstand Heidel schmeißt in der Krise hin

Mainz – Christian Heidel wirkte sehr gefasst, als er ausgerechnet in seinem einstigen «Wohnzimmer» seinen Abgang als Sportvorstand von Schalke 04 verkündete.

Während draußen die sportlich völlig aus dem Tritt geratenen Profis des deutschen Vizemeisters nach der 0:3-Klatsche beim FSV Mainz 05 von den aufgebrachten Fans lautstark beschimpft wurden, schilderte Heidel in den Stadion-Katakomben ohne große Emotionen die Beweggründe für seinen Rückzug. Mitten in der größten Schalker Bundesliga-Krise seit 36 Jahren löste der Ex-Mainzer damit ein königsblaues Beben aus.

«Ich glaube, dass ich die Verantwortung tragen muss für die sportliche Situation und auch ein Zeichen setzen muss. Ich habe immer aus einer Position der Stärke heraus gearbeitet. Die habe ich derzeit nicht», sagte Heidel. In der Liga sind die Gelsenkirchener seit fünf Spielen sieglos, der Abstiegszone ist der Tabellen-14. gefährlich nah. «Es geht darum, aus dieser Situation heraus zu kommen. Da muss wirklich einiges passieren. Ob die Mannschaft Abstiegskampf kann, weiß ich nicht. Aber sie wird es müssen», betonte Heidel.

Dafür müsse Ruhe im Verein herrschen, die mit seiner Person nicht mehr gegeben sei. Deshalb habe er schon vor zehn Tagen den stetig gereiften Entschluss gefasst, seinen bis zum Sommer 2020 gültigen Vertrag am Saisonende vorzeitig aufzulösen. Am vergangenen Montag informierte Heidel dann Aufsichtsratschef Clemens Tönnies über seine Entscheidung. «Ich habe gesagt, wir müssen das im Sommer beenden, ich löse den Vertrag auf, will kein Geld, verzichte auf alles, was mir zusteht», berichtete er.

Faktisch ist der 55-Jährige ab sofort weg. «Ich stehe noch mit Rat und Tat zur Verfügung, aber nicht mehr in der vordersten Front», betonte er. Sobald ein Nachfolger gefunden sei, werde er auch körperlich nicht mehr anwesend sein.

Als heißester Anwärter auf den Posten gilt Jonas Boldt, mit dem Heidel schon im Sommer 2018 Gespräche geführt hatte. «Ich schätze ihn sehr», sagte Heidel über den ehemaligen Sportdirektor des Ligarivalen Bayer Leverkusen, der momentan noch seinen Nachfolger beim Werksclub einarbeitet. «Wenn man mich um meine Meinung fragt, werde ich die sagen. Aber ich werde nicht darüber entscheiden, wer mein Nachfolger wird», so Heidel. Ein weiterer Kandidat soll Klaus Allofs sein, der frühere Manager von Werder Bremen und dem VfL Wolfsburg.

Heidel ist in dieser Saison bereits der dritte Sportchef eines Bundesligisten, der sein Amt verliert. Zuvor hatte die sportliche Talfahrt Michael Reschke beim VfB Stuttgart und Andreas Bornemann beim 1. FC Nürnberg den Job gekostet. Damit setzt sich ein Trend fort, dass in Krisenzeiten eines Vereins nicht immer (nur) der Trainer gehen muss.

Heidel wurde von seinen Kritikern vor allem eine verfehlte Transferpolitik vorgeworfen. Zuletzt konnten Abgänge wie die Nationalspieler Leon Goretzka oder Thilo Kehrer nicht adäquat ersetzt werden. Der Königstransfer Sebastian Rudy enttäuschte bislang. In seiner Amtszeit gab Heidel 154 Millionen Euro für neue Spieler aus und nahm nur 112 Millionen Euro durch Transfers ein – macht ein Minus von 42 Millionen Euro. Eine schlechtere Bilanz seit 2016 weisen nur RB Leipzig (-110 Millionen Euro) und der VfL Wolfsburg (-60 Millionen Euro) auf.

Bei der Neubesetzung des Postens muss Schalke-Boss Tönnies einen Volltreffer landen, um die kochende Fanseele zu beruhigen. Schließlich will er im Juni für weitere drei Jahre als starker Mann auf Schalke in das Amt wiedergewählt werden. «Sein Entschluss hat uns überrascht», sagte Tönnies zu Heidels Rückzug. Die Neubesetzung solle «zügig, aber nicht übereilt» erfolgen.

Die Situation ähnelt der von 2016, als Tönnies stark unter Druck stand. Damals musste Horst Heldt gehen, Heidel kam nach 24 Jahren bei Mainz 05 als Nachfolger. Ausgerechnet bei seinem Herzensverein erlebte er nun seinen letzten offiziellen Auftritt als Schalke-Sportvorstand. «Für die Verkündung wäre mir jeder andere Ort lieber gewesen», sagte Heidel.

Der desolate Auftritt der Mannschaft beim 0:3 durch die Gegentore von Karim Onisiwo (18./84. Minute) und Jean-Philippe Mateta (73.) passte ins triste Bild. «Wir haben schon einige schwierige Momente gehabt, aber heute fühlt es sich extrem schwierig an», sagte Trainer Domenico Tedesco mit bleichem Gesicht. «Das müssen wir erst einmal sacken lassen. Es war in allen Bereichen zu wenig.»

Die erschreckende Leistung der Mannschaft und der Rückzug Heidels, über den er am Abend vor dem Spiel informiert worden war, hatten dem 33-Jährigen sichtlich zugesetzt. «Es ist für mich sehr überraschend und traurig», sagte Tedesco. «Er hat mich als unbekannten Zweitliga-Trainer hierher geholt, wir haben sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet.» Nun muss er Schalke ohne die Rückendeckung seines Förderers schnell aus der sportlichen Krise führen.


(dpa)

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