Wie das Denkmal bröckelte: Made by Löw ist entschlüsselt

Kasan/Frankfurt – Die Fotos vom flanierenden Joachim Löw auf der Standpromenade von Sotschi haben sich eingebrannt. Sie werden als Beleg für die erste ganz große Verirrung in der zwölfjährigen Amtszeit des Bundestrainers genauso bleiben wie die Fragen nach dem Warum?

Dass der Weltmeistercoach von 2014 wie vertraglich festgelegt in vier Jahren in Katar noch einmal die nächste WM-Tortur auf sich nimmt, scheint derzeit kaum vorstellbar. «Das ist anderen Nationen auch schon passiert, da muss man jetzt die richtigen Schlüsse daraus ziehen und es in Zukunft wieder besser machen», sagte Löw kurz nach dem zuvor unvorstellbaren Vorrunden-K.o. in der Tatarenstadt Kasan.

Löw hat sich selbst ein Denkmal geschaffen, seit er von seinem einstigen Chef Jürgen Klinsmann für ihn selbst überraschend in den Job des wichtigsten deutschen Fußball-Lehrers gehievt wurde. Der Südbadener setzte nicht nur den Aufbruchkurs fort, den Klinsmann mit einem Assistenten Löw nach der EM-Vorrunden-Blamage von 2004 eingeleitet hatte. Löw schuf einen neuen Stil weg von Rumpelfußball hin zu Mut, Klarheit, Geschwindigkeit und Attraktivität. Und er prägte internationale Trends, etwa als er bei der WM 2010 in Südafrika die blutjunge Generation um Neuer, Özil, Boateng, Hummels von U21-Europameistern zu Stammkräften des Nationalteams beförderte.

Jugend, Frische, Belastbarkeit seien «wertvoller als Erfahrung», sagte Löw damals und erntete bei der älteren Generation von Michael Ballack und Torsten Frings Kopfschütteln. Doch mit dem Stil, «der genau zu dieser Mannschaft passt», führte der einstige Freiburger Profi die DFB-Elf wieder in die Weltspitze und krönte dies mit dem WM-Titel 2014. Löw begeisterte und war erfolgreich. «Bis zu diesem Turnier waren wir die konstanteste Mannschaft der letzten zehn, zwölf Jahre. Wir waren immer unter den letzten Vier», erinnerte er nach dem Aus in Russland. Von 36 Turnierpartien unter ihm gingen vor der WM 2018 nur sechs verloren – in Russland von drei gleich zwei.

Das Denkmal Löw bröckelte aber schon direkt nach dem größtmöglichen Triumph in Brasilien. Der Visionär, wie sich Löw gern selbst nennt, wich von seinem eigenen Weg ab. Zwei Jahre Entwicklung «verschenkte» er im verständlichen Hochgefühl, es ganz nach oben geschafft zu haben, räumte der gebürtige Schwarzwälder später selbst ein. «Die Nummer eins der Welt sind wir», hatte es durch die Katakomben des berühmten Maracana-Stadions von Rio de Janeiro gedröhnt. Made by Löw.

Löw dankte der Generation Kroos, Müller, Khedira und Schweinsteiger mit Treue – ein nachvollziehbarer Bonus. Aber eben auch konträr zu Löws sportlicher Einstellung. Bei der EURO vor zwei Jahren ging das bis zum Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich gut. Aber auch da zeigte der Erfolgsstil schon Abweichungen. Konsequenzen zog der Chef, der im Gefüge einer immer weiter wachsenden Parallelwelt Nationalmannschaft jedes Detail bestimmt, eher halbherzig. «Ich möchte mich jetzt schon auf das vorbereiten, was morgen auf mich zukommt», erklärte der Bundestrainer. Die Gegenwart konnte er zuletzt nicht mehr bis zur erhofften Titelverteidigung managen. Sein Erfolgscode ist von der Konkurrenz entschlüsselt.

Im Sommer des Vorjahres erlebten die Fans noch einmal den Löw aus seinen ersten Bundestrainer-Jahren. Mit einem jungen Team ohne seine Özil-Boateng-Khedira-Generation rockte er mit viel positiver Energie den eigentlich ungeliebten Confed Cup, konnte wieder Ausbilder und Entwickler sein. Aus dem 2017-er Kader beförderte er dann nur den Leipziger Timo Werner, den Münchner Joshua Kimmich und Paris-Profi Julian Draxler in seine engere WM-Formation. Mit Abstrichen durfte es noch der Leverkusener Julian Brandt und gegen Südkorea auch Leon Goretzka versuchen.

«Es gibt noch weitaus wichtigere Positionen und Menschen als mich. Das weiß ich schon richtig einzuschätzen», hatte Löw vor Turnierstart im dpa-Interview gesagt und jedes aus der Routine erwachsendes Risiko verneint. Die Signale nach dem fatalen Fehlstart gegen Mexiko wurden anderes gedeutet. Mit den Fotos am Schwarzen Meer vermittelte der verdienstvolle Bundestrainer das Gefühl: Ruhig bleiben. Ich habe alles im Griff. Was auch einige enge Mitstreiter irritierte. «Während des Turniers bin ich schon in meinem Tunnel», gestand der 58-Jährige.

«Die Trainer haben die Eindrücke der ganzen Tage», sagte Oliver Bierhoff während der kurzen WM-Zeit auf eine Frage zum aktuellen Korrektur-Bedarf. Der Manager, inzwischen auch zum DFB-Direktor aufgestiegen, zeigte anders als Löw alarmierende Zeichen seit der souverän geschafften WM-Qualifikation im Vorjahr immer wieder auf.

Löw und sein Team erkannten zwar die Probleme – konnten sie aber nicht lösen. Mit der Generation der Ilkay Gündogan und Leroy Sané versuchte es der Bundestrainer in den Tests gegen Brasilien (0:1) und Österreich (1:2). Auch die alten Akteure überzeugten nicht wie beim 2:1 gegen Saudi-Arabien. Gegen seine eigenen Prinzipien mixte Löw in höchster WM-Not sein Team schließlich zusammen. Für höhere Ansprüche reichte das nicht. Und als auch noch das Glück ausblieb, kam das Aus.


(dpa)

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