Defibrillatoren in Deutschland werden selten genutzt

Magdeburg – Ein lautes Piepen ertönt. Mit ruhigen Händen folgt der Rettungssanitäter den Anweisungen einer etwas mechanisch klingenden Frauenstimme. Diese ertönt aus einem weißen Kasten, dem sogenannten Defibrillator.

Routiniert befestigt der Mann zwei Klebeelektroden auf dem nackten Brustkorb vor sich. «Weg vom Patienten», ruft er. Doch der Stromstoß durchs Herz bleibt aus. Der Einsatz ist nur eine Übung, der Patient bloß eine Gummipuppe.

Herzversagen ist häufigste Todesursache

Dass der Notfallsanitäter heute die Wiederbelebung eines Herzpatienten demonstriert, kommt nicht von ungefähr. Laut dem Statistischen Bundesamt starben 2016 über 300.000 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es ist mit Abstand die häufigste Todesursache in Deutschland.

Ob an Bahnhöfen, in Banken oder Einkaufszentren – es gibt immer mehr Defibrillatoren in Deutschland, einen kompletten Überblick hat aber niemand. Die größte Datenbank verzeichnet einen Zuwachs von mehreren Tausend Geräten pro Jahr. Doch sie sind deutlich zu unbekannt, werden nur selten genutzt. Hinzu kommt die Hemmschwelle bei Laien, die Geräte im Notfall auch einzusetzen.

In den Räumen des Landesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Magdeburg findet der Kurs «Ausbildung für Ausbilder» mit dem Schwerpunkt Aed (automatisierter externer Defibrillator) statt. Hier üben ausgebildete Helfer, Laien im Umgang mit den Aeds zu schulen und ihnen die Angst vor den Schockgeräten zu nehmen. Das ist wichtig, findet Kursleiter Christian Hensel. Defibrillatoren seien das effektivste Mittel, das Ersthelfern zur Verfügung stehe. Die Geräte seien so konzipiert, dass jeder sie ohne Vorkenntnisse einsetzen könne.

Defibrillator beendet Herzflimmern

Der Defibrillator, kurz Defi, kommt bei plötzlich eintretenden Herzrhythmusstörungen zum Einsatz. Hensel erklärt: Wenn der Kreislauf zusammenbricht, versucht das Herz dies mit einer hohen Schlagfrequenz auszugleichen. Der Defibrillator beendet dieses sogenannte Herzflimmern mit einem Stromstoß.

«Das Herz wird auf Null gesetzt», so Hensel. Nun haben Herzdruckmassage und Beatmung eine wesentlich höhere Chance, den Patienten zu reanimieren. «Der Defi bringt nur in Kombination mit einer Herzdruckmassage etwas», sagt Hensel. Aus diesem Grund solle auch nur der Zweithelfer den Defi holen.

So konnte etwa im Januar 2013 mithilfe eines Defis, der im Justizministerium in Magdeburg aushängt, dem Gast eines nahen Hotels das Leben gerettet werden. Dennoch habe das öffentliche Interesse an dem Thema in den letzten Jahren nachgelassen, sagt Hans-Joachim Trappe. Zu unrecht findet der Mediziner, denn die Chance auf eine erfolgreiche Wiederbelebung beim rechtzeitigen Einsatz eines Defis liege bei etwa 55 Prozent, ohne das Gerät seien es nur rund 8 Prozent.

Notfallort ist schwer vorherzusagen

Der Kardiologe an der Ruhr-Universität in Bochum hat die Nutzung öffentlicher Defibrillatoren in verschiedenen Studien untersucht. Zwischen 2003 und 2015 hat Trappe etwa ein Projekt am Frankfurter Flughafen betreut. Bei den über 500 Millionen Besuchern in diesem Zeitraum kamen die Schockgeber in gerade einmal 25 Fällen zum Einsatz. «Das Problem ist noch nicht gelöst. Trotz aller Bemühungen ist die Zahl der Tode durch Herzversagen relativ konstant», sagt Trappe.

Dass die Defis nicht so effektiv sind, wie erhofft, hat laut Trappe vor allem zwei Gründe: Zum einen kann man nicht vorhersagen, wo plötzliche Herztode auftreten. Der optimale Ort für einen Defibrillator ist folglich schwer zu bestimmen. Zum anderen wissen viele Menschen nicht, wo sie im Notfall einen Defi finden oder haben Angst, ihn einzusetzen. Dagegen helfe nur, zu informieren, so Trappe.

Keine Übersicht über vorhandene Geräte

Tatsächlich gibt es bundesweit weder ein einheitliches Kataster noch eine Meldepflicht für Defis. Das Innenministerium in Magdeburg etwa konnte auf Anfrage keine Übersicht über Defibrillatoren im Land zur Verfügung stellen. Der gemeinnützige Verein
Definetz versucht hier Abhilfe zu schaffen. Mit etwa 26.000 registrierten Geräten verfügt er über die nach eigenen Angaben umfangreichste Datenbank in Deutschland. Die Daten recherchieren die Mitarbeiter größtenteils selbst, sagt der Vorsitzende Friedrich Nölle. Die Zahl nicht erfasster Defibrillatoren sei daher immer noch sehr hoch. Grundsätzlich gebe es aber den starken Trend zu mehr öffentlichen Schockgeräten in Deutschland. Es lohne sich, die Augen im eigenen Lebensumfeld offen zu halten, empfiehlt Nölle.

Einen schnellen Überblick über Defis in der Nähe ermöglicht zum Beispiel die Notfall-App des DRK. Die greift auf eine eigens erstellte Datenbank zurück. Hier wird auf einer Karte der nächste erfasste Defi abhängig vom eigenen Standort angezeigt. Sich zu informieren ist wichtig, finden auch die Teilnehmer des Ausbilderkurses beim DRK in Magdeburg. Mit seinen abschließenden Worten richtet sich der vorführende Notfallsanitäter daher an alle Menschen: «Den einzigen Fehler, den man machen kann, ist nichts zu machen.»

Defibrillatoren können bei einem Herzstillstand Leben retten. Wichtiger ist aber die Herzdruckmassage, sagt Prof. Dietrich Andresen, Vorsitzender der
Deutschen Herzstiftung.

Die wichtigsten Tipps für den Notfall im Überblick:

– Prüfen, Rufen, Drücken: Das ist der wichtigste Grundsatz, wenn jemand unvermittelt das Bewusstsein verliert. Helfer sollten erst prüfen, ob derjenige tatsächlich bewusstlos ist und ob er noch regulär atmet. Dann rufen sie den Notruf 112 – und dann beginnt die Herzdruckmassage.

– Tief und schnell genug: Falsche Zurückhaltung ist einer der häufigsten Fehler bei der Herzdruckmassage. Helfer sollten etwa zwei Mal pro Sekunde (zum Beispiel im Rhythmus von «Stayin‘ Alive» der Bee Gees) den Brustkorb gut sechs Zentimeter tief eindrücken, ohne Beatmung zwischendurch. Und, ganz wichtig: Erst aufhören, wenn die Profi-Helfer da sind und übernehmen.

– Der Zweithelfer holt den Defi: Die Herzdruckmassage rettet Leben, weil sie die Sauerstoffversorgung des Gehirns sicherstellt. Sie stoppt das lebensgefährliche Kammerflimmern aber nicht – das schafft eventuell ein öffentlicher Defibrillator (AED). Den kann der zweite Helfer suchen und herbeiholen, während der erste weiter massiert.

– Keine Angst vor Schäden: Die Defibrillatoren erklären dem Anwender selbst, was zu tun ist – er muss nur die Anweisungen erfolgen. Schlimmer machen können es Helfer damit nicht: Hat jemand zum Beispiel kein Kammerflimmern, sondern ist aus anderen Gründen bewusstlos, schickt der AED auch keinen Stromstoß.


(dpa)

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