Wie erklärt man Kindern alternative Familienformen?

Mainz – David (Name geändert) hat zwei Mamas, und das finden manche Kinder komisch. «Das geht doch gar nicht, man kann nur eine Mutter haben», solche Kommentare hört der Neunjährige öfter.

Seine Eltern stärken ihm den Rücken, damit er auf blöde Sprüche selbstbewusst reagieren kann. Und sie versuchen, Vorurteile durch Offenheit auszuräumen. «Man muss gut im Gespräch bleiben mit Erzieherinnen und Erziehern, mit Lehrerinnen und Lehrern, und die Kinder ermutigen zu reden», sagt Natalia Matter, eine von Davids Müttern.

Regenbogenfamilien

Sie erzählt freimütig, dass sie mit Hilfe der Samenspende eines guten Freundes schwanger wurde. Ihre Frau hat David nach der Geburt adoptiert, und der leibliche Vater ist heute sein Patenonkel. David nennt ihn nicht «Papa», sondern beim Vornamen.

Ungefähr 7000 gleichgeschlechtliche Paare mit minderjährigen Kindern im Haushalt gibt es in Deutschland laut Familienreport des Bundesfamilienministeriums. Solche
Regenbogenfamilien entstehen zum Beispiel, wenn einer der Partner seine Kinder aus einer früheren Beziehung mit in die neue Partnerschaft bringt. Manche schwule und lesbische Paare entscheiden sich auch gemeinsam für ein Kind, das sie zusammen aufziehen, wie bei David. Trotz der Ehe für alle ist diese Variante aber noch immer mit rechtlichen Hürden verbunden.

Neue Familienmodelle

Allen Schwierigkeiten zum Trotz nehmen Familienmodelle jenseits der Norm zu. Nicht immer ist das eine bewusste Entscheidung. Manchmal entsteht die neue Konstellation einfach aus Umständen heraus, etwa weil die Eltern sich trennen. Nach wie vor sind die meisten Elternpaare verheiratet, insgesamt 5,5 Millionen. 843.000 leben ohne Trauschein zusammen, und 1,6 Millionen sind alleinerziehend.

Der Anteil von Stieffamilien macht Umfragen zufolge zwischen 7 bis 13 Prozent aller Familien in Deutschland aus, so eine Studie des Familienministeriums. In Stieffamilien leben Kinder mit einem leiblichen und einem sozialen Elternteil zusammen. Eine Variante davon ist die Patchworkfamilie, die aus Eltern mit ihren gemeinsamen Kindern und Kindern aus einer früheren Partnerschaft besteht.

Patchworkfamilien

Katharina Grünewald geht diese Definition von Patchwork nicht weit genug. Sie verwendet den Begriff auch dann, wenn nur einer der Partner bereits Kinder aus einer früheren Beziehung hat. Die Psychologin berät in ihrer Hamburger Praxis Patchworkfamilien und lebt selbst in einer solchen Konstellation.

«Die Realität ist vielfältig, und trotzdem haben wir oft noch ein klassisches Bild von Familie im Kopf, von Vater, Mutter und zwei Kindern», beobachtet Grünewald. Sie versteht Familie als ein Netz aus Beziehungen, das vollkommen unterschiedlich aussehen kann. Auch wer zur Familie gehört, empfindet womöglich jeder Beteiligte anders. Für ein Kind, das seinen Vater am Wochenende besucht, zählt vielleicht der kleine Halbbruder dazu, nicht aber die neue Frau des Vaters.

Wohl der Kinder beachten

Vor allem jüngere Kinder begegnen den vielfältigen Familienformen mitunter selbstverständlicher als Erwachsene. Oft gehören Trennungs- oder Patchworkfamilien für sie zum Alltag: Der Freund aus dem Kindergarten sieht seinen Vater nur am Wochenende, ein Mädchen wird beim Turnen mal von der einen, mal von der anderen Mama abgeholt.

Im Gespräch über unterschiedliche Familienformen sollten sich Eltern stets am Interesse der Kinder orientieren, empfiehlt Christiane Zießler. «Es sollte schon einen Anlass geben, über so etwas zu reden, entweder eine Frage des Kindes oder eine Situation, die man gemeinsam erlebt», sagt die Psychologin, die in der Berliner Beratungsstelle Familie im Zentrum arbeitet. Solche Gespräche können Eltern durch Bücher zum Thema unterstützen. Inzwischen gibt es eine große Auswahl an Literatur über verschiedene Familienkonstellationen.

Erklärungshilfen

Neugierige Fragen zu ihrer Familie beantwortet auch Natalia Matter. Kindern erklärt sie, dass ihre Frau und sie sich genauso gern mögen wie andere Eltern und sich auch Kinder gewünscht haben. Weil zwei Frauen zusammen aber keine Kinder bekommen können, habe ihnen ein Mann geholfen, den sie sehr gut kennen. «Ganz kleinen Kindern sagen wir einfach: Der Mann hat uns geholfen. Bei älteren Kindern erklären wir, dass er uns seinen Samen geschenkt hat», sagt Matter.

Viele Eltern sind dankbar für solche Erklärungshilfen und haben ihr erzählt, dass einige Mädchen jetzt ein neues Rollenspiel entdeckt haben. «Mama, Mami, Kind» funktioniert nämlich auch, wenn kein Junge mitspielen will. Familie, das haben die Kinder längst begriffen, kann ganz unterschiedlich sein.

Kinderbücher zu unterschiedlichen Familienformen:

Alexandra Maxeiner/Anke Kuhl: Alles Familie! Vom Kind der neuen Freundin, vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten, Klett Kinderbuch Verlag, 14 Euro, 40 Seiten, ISBN 978-3-95470-029-5.

Edward Summanen, Johanna Arpiainen: Das Familienbuch, Alibri Verlag, 12 Euro, 32 Seiten, ISBN-13: 978-3865692504.

Ratgeber-Buch für Patchwork-Eltern:

Katharina Grünewald: Die Glückliche Stiefmutter: Gut zusammenleben in Patchworkfamilien, Herder Verlag, 18 Euro, 192 Seiten, ISBN-13: 978-3451600678.


(dpa/tmn)

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