Angie Kerbers Rolle: Exponiert, zurückhaltend, mitreißend

Stuttgart – Im Image-Filmchen des Fed-Cup-Teams spielt Angelique Kerber selbstverständlich die Hauptrolle. In einer Deutschland-Jacke, mit betonter Stimme und Mimik animiert sie das Publikum, für das Spiel gegen den Abstieg aus der Weltgruppe die Daumen zu drücken.

Das Video verdeutlicht die Ausnahmestellung, die Kerber nicht nur am Wochenende gegen die Ukraine inne hat, die der bescheidenen Kielerin aber nicht natürlich liegt. Mit der Rolle eines Stars der Tennis-Szene wird sich die Nummer eins der Welt aber dauerhaft arrangieren müssen, schließlich wird ihre schwangere Rivalin Serena Williams pausieren.

Kerber weiß um ihre exponierte Position auch beim Fed Cup in Stuttgart. In diesem Jahr allerdings scheinen die Pflichten und die Bürde einer Weltranglisten-Ersten die Norddeutsche bisher zu hemmen. Sie wirkt nicht ganz so glücklich, nicht ganz so befreit und ausgeglichen wie gerade in ihrer sensationellen zweiten Jahreshälfte 2016. Von der Selbstverständlichkeit, die Topspielerinnen reihenweise zu schlagen, und dem Druck standzuhalten, ist wenig übrig geblieben. Zweifel und Zaudern kehrten zurück. Das Problem sei der Druck, den sie sich selbst mache, sagte Teamchefin Barbara Rittner, erklärte aber vor der Relegation: «Ich glaube, dass sie die tragende Rolle spielen muss und wird.»

Kerber müsste keinen Fed Cup spielen, wenn sie nicht wollte. Nicht wenige Spitzenkräfte lassen den Mannschafts-Wettbewerb aus, um sich auf die Einzelkarriere zu konzentrieren. Und die Olympia-Zweite wird auch in der kommenden Woche gefordert sein, wenn sie beim Heimturnier in Stuttgart als Titelverteidigerin antritt. Ihren Spitzenplatz wird sie dann als Folge der Weltranglisten-Arithmetik vorübergehend an Serena Williams los sein. Doch die Baby-Auszeit der Grand-Slam-Königin ermöglicht Kerber noch Monate an der Spitze.

Zum Leben auf der Tour bietet der Fed Cup im Kreis der Gemeinschaft eine willkommene Abwechslung mit Wohlfühl-Atmosphäre. Vor dem drohenden Abstieg zieht Kerber die Aufmerksamkeit auf sich und nimmt sie damit von ihren Teamkolleginnen, sei es von Stuttgart-Fan Julia Görges, von Lokalmatadorin Laura Siegemund oder Talent Carina Witthöft. Mit zwei Einzelsiegen gegen die gefährliche ukrainische Spitzenspielerin Jelina Switolina und Lessia Zurenko am Samstag und Sonntag Ansoll Kerber trotz ihrer bislang weitgehend bescheidenden Ergebnisse in dieser Saison die anderen mitreißen. «Die Kunst ist es, den Druck, der auf der einzelnen Spielerin lastet, auf alle Schultern zu verteilen», sagte Rittner.

Professionell geht Kerber mit vielen Situationen um, seit sie zur ersten deutschen Grand-Slam-Siegerin seit Steffi Graf aufgestiegen ist. «Ich habe mich als Person weiterentwickelt», hatte Kerber nach ihren grandiosen Erfolgen bilanziert. Ständig im Mittelpunkt zu stehen, ist dennoch eigentlich nicht so ihr Ding.

Im Waldhotel in Stuttgart-Degerloch nimmt die Linkshänderin jetzt nicht die Rolle der Allein-Unterhalterin und Geschichtenerzählerin ein, wie es normalerweise ihre Freundin Andrea Petkovic tun würde, die diesmal im Aufgebot fehlt. «Insgesamt ist es ein bisschen ruhiger am Tisch, wobei auch diese Damen in Fahrt kommen können», verriet Rittner schmunzelnd. Für Kerber ist es ungewohnt, ihre Freundin nicht an ihrer Seite zu haben. Aus dem Austausch mit der Darmstädterin hat sie stets Stärke gezogen.


(dpa)

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