Autoschrauber Löw denkt nicht um

Wolfsburg – Im grauen Arbeiteranzug steckte Joachim Löw ein Gelenkwellenabschirmblech unter einen nigelnagelneuen Golf.

Bei der Nationalmannschaft denkt der Fußball-Bundestrainer zur Sicherung der zuletzt anfälligen Defensive auch nach dem Langzeitausfall seines neuen Abwehrchefs Niklas Süle nicht an eine Rückholaktion von Mats Hummels. «Man sollte nicht immer alle Pläne über den Haufen werfen, weil der eine oder andere verletzt ist», schloss Löw ein Comeback des von ihm im März aussortierten Ex-Weltmeisters derzeit aus.

Die Botschaft des Bundestrainers beim PR-Termin des DFB-Generalsponsors VW in Wolfsburg war eindeutig. Nicht nur die Qualifikation für das Sommerturnier soll in den Partien gegen Weißrussland (16.11.) und Nordirland (19.11.) ohne Fußball-Oldtimer gelingen. Auch die EM selbst bleibt den Perspektivspielern vorbehalten. Im Gegensatz zu Bayern-Präsident Uli Hoeneß hat Löw den Glauben offenbar noch nicht verloren, dass Süle nach einem Kreuzbandriss im linken Knie bis zum deutschen Turnierstart am 16. Juni 2020 fit wird.

Löws Absage an den in Dortmund auf hohem Niveau verteidigenden Hummels wirkt schwer nachvollziehbar. Überraschend ist sie nicht. In seinem 14. Jahr als Bundestrainer bleibt er sich treu. Einen Weg zurück ins DFB-Ensemble gab es für von ihm aussortierte Spieler nicht. Die Liste reicht von Kevin Kuranyi über Torsten Frings und Michael Ballack bis Stefan Kießling. Dass der lange ignorierte Torwart Roman Weidenfeller noch zu Nationalspielerehren kam und 2014 als Backup von Manuel Neuer Weltmeister wurde, war die Ausnahme.

Die öffentliche Meinung oder auch Experten-Statements wie jüngst von Ex-Europameister Steffen Freund sind Löw egal. Die Grenze zwischen Kontinuität und Sturheit ist fließend. Löws Plan lautet Neuaufbau, auch auf Kosten möglicher Rückschläge. «Dass der Umbruch ein längerer Prozess ist, mit manchen Höhen und Tiefen, das war uns auch klar», sagte Löw. «Ich habe schon einmal gesagt, dass ich auf junge Spieler setze und man ihnen auch das Vertrauen schenken muss, wenn man sie ins kalte Wasser schmeißt. Und dass sie sich dann am besten entwickeln können.»

Wie weit Löw dieses Dogma nach der WM-Enttäuschung von 2018 ausreizen kann, werden die kommenden Länderspiel-Ergebnisse zeigen. Aussagen wie «am Ende steht der Erfolg der Mannschaft an erster Stelle» klingen schnell unglaubwürdig. Ein akutes Personalproblem sieht der DFB-Chefcoach offenbar nicht. «Wir haben ja schon ein paar andere junge und gute Abwehrspieler, die sich, denke ich, in den nächsten Monaten noch entwickeln können», sagte der Bundestrainer.

Die Innenverteidiger-Liste ist aber überschaubar. Und richtig sorgenfrei ist kaum einer der Kandidaten. Der von Löw hochgelobte und schon vor dem Süle-Aus förmlich herbeigesehnte Antonio Rüdiger verpasste wegen einer Knieverletzung den Saisonendspurt bei Chelsea und kommt in dieser Spielzeit wegen muskulärer Probleme nicht in die Spur. Nur 45 Premier-League-Minuten schaffte er bislang.

Ersatzbank-Weltmeister Matthias Ginter braucht bei Mönchengladbach nach einer Schulterverletzung derzeit weiter Geduld. Jonathan Tah patzte im September beim 2:4 gegen die Niederlande mehrfach und sah auch bei Leverkusens 0:1 bei Atlético Madrid schlecht aus. Sein Nebenmann in der Innenverteidigung bei der U21-EM im Sommer, Timo Baumgartl, wurde von Zweitligist VfB Stuttgart zu PSV Eindhoven transferiert und kam in den Niederlanden immerhin zu sieben von neun möglichen Einsätzen. Für Löws A-Team wurde er aber noch nie berufen.

Auch alle anderen Bewerber sind unerfahren. Berlins Niklas Stark (1 Länderspiel) steht nach dem Glastisch-Unfall im DFB-Hotel bei der Hertha vor dem Comeback. Der Freiburger Robin Koch (1 Länderspiel) war von Löw im Oktober als Ersatzmann erstmals geholt worden. Und Mittelfeldspieler Emre Can, der bei Juventus Turin nicht einmal für die Champions League gemeldet worden war und zuletzt im Abwehrzentrum aushalf, ist nach seiner Roten Karte beim 3:0 in Estland für das nächste EM-Qualifikationsspiel gegen Weißrussland gesperrt. Er könnte nur drei Tage später gegen Nordirland wieder eingesetzt werden.

Im ersten Kader nach dem WM-Aus hatte Löw im September 2018 gleich ein halbes Dutzend Innenverteidiger nominiert, darunter auch die später sportlich in Ungnade gefallenen Hummels und Jérôme Boateng. Stabilität konnte die DFB-Elf gegen starke Kontrahenten seither kaum beweisen. In den insgesamt sechs Spielen gegen Weltmeister Frankreich und die Niederlande gab es fünfmal mindestens zwei Gegentore. Ganz ausschließen wollte Löw ein Hummels-Comeback aber noch nicht. Prognosen seien im Fußball immer schwierig. «Keine Ahnung, was nächstes Jahr sein wird», sagte er in Wolfsburg.


(dpa)

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