Der unsichtbare Dritte

Budapest – Den Ball von Timo Boll spielten die Gegner noch einmal zurück. Den von Patrick Franziska schlugen sie nur noch ins Aus.

Das war der Matchball beim ersten Auftritt des deutschen Spitzendoppels bei der Tischtennis-WM in Budapest, und wie so häufig bleibt die Frage, was man dem erst 26 Jahre alten Franziska nun mehr entgegenbringen soll: Anerkennung – oder doch ein bisschen Mitleid?

Der Bundesliga-Profi des 1. FC Saarbrücken gehört seit August zu den Top 18 der Weltrangliste, er hat bei den Europameisterschaften 2018 drei Medaillen in drei verschiedenen Wettbewerben geholt. Es gibt Fachleute, und dazu zählt auch sein Bundestrainer Jörg Roßkopf, die Franziska in dieser Woche in Budapest nicht viel weniger zutrauen. Sein Doppel mit Timo Boll ist die wahrscheinlich größte deutsche Medaillenhoffnung bei dieser WM. Und im Mixed mit Petrissa Solja könnte er schon am Mittwochabend das Halbfinale erreichen.

Patrick Franziska hat nur ein Problem: Er ist in einer Sportart unterwegs, die zumindest in Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung nur von zwei Menschen professionell betrieben wird: Fast jeder kennt Timo Boll und immer noch viele kennen Dimitrij Ovtcharov. Aber der Weltranglisten-18. Franziska ist nur der unsichtbare Dritte.

Wie sich das anfühlt, kann der 26-Jährige nicht auf die Schnelle in einem Satz beantworten. «Es gibt Vor- und Nachteile», sagt er. Immer im Schatten zu stehen, sei die eine Sache. «Es ist aber auch gut, dass wir zwei Ausnahmespieler wie Timo und Dima haben, die die Sportart bekannter machen. Ohne die beiden wäre Tischtennis in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie tot. Es ist für mich also eher so: Wenn man zwei solche Topspieler hat, versucht man immer, sich mit ihnen zu messen. Man kann in ihrem Schatten in Ruhe wachsen.»

Andere deutsche Nationalspieler wie Ruwen Filus oder Bastian Steger beschreiben das ähnlich. Bei Patrick Franziska ist der Karriereweg nur ganz besonders mit dem seines Freundes Timo Boll verbunden.

Beide kommen aus dem Odenwald und sind im selben Verein groß geworden (TSV 1875 Höchst). «Ich kenne Patrick, seit er klein ist und bei mir im Keller trainiert hat», erzählt Boll. «Aber auch vom Typ her kommen wir sehr gut miteinander aus und haben schon viel privat gemacht.»

2015 stand Franziska im Einzel schon einmal im Viertelfinale einer WM, aber die Geschichte seines deutlich nachhaltigeren Aufstiegs in den vergangenen Monaten ist auch ein bisschen die Geschichte einer Emanzipation von seinem Freund und Vorbild. 2016 wechselte er vom Boll-Club Borussia Düsseldorf zum aktuellen Europacup-Finalisten Saarbrücken. «Ich wollte selbstständiger werden», erklärt Franziska. «Ich kann in Saarbrücken vieles entscheiden und habe mir dort mein Umfeld noch einmal völlig neu sortiert: ein neuer Athletiktrainer, ein neuer Physiotherapeut – die habe ich mir alle selbst gesucht. Ich habe gemerkt: Das ist der richtige Weg. Das fühlt sich gut an.»

Noch im vergangenen Jahr verlor Franziska im EM-Halbfinale und bei den Austrian Open zwei Tischtennis-Krimis mit 3:4 gegen Boll. Vor einem Monat schlug er ihn dann im Playoff-Halbfinale der Bundesliga zwischen dem 1. FC Saarbrücken und Borussia Düsseldorf.

«Für mich ist er im Aufschlag-Rückschlag-Spiel ein Top-Ten-Spieler weltweit. Da ist er vielen anderen Spielern überlegen», sagt Bundestrainer Roßkopf. Und auch Timo Boll meint: «Patrick hatte eigentlich schon immer das Niveau, um Topleute zu schlagen. Er hat alle Möglichkeiten, wusste aber nicht immer, wann er was nutzt. Jetzt weiß er, wie er seine Waffen einsetzen soll. Deshalb ist er so gut.»

Die beiden verstehen sich privat so gut, dass Boll jedes Mal ein viel größeres Problem bekommt, wenn er Franziska schlägt. «Meine kleine Tochter mag Patrick», erzählt er. Sie möchte nie, dass er gegen seinen Freund gewinnt. Bei der WM ist das jetzt einfacher: «Ich war ganz glücklich, meiner Tochter sagen zu können: Ich spiele jetzt mit Patrick zusammen. Wir gewinnen zusammen.»


(dpa)

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