Ein deutscher Trainer lernt in England

Hannover – Nach einem Trainerlehrgang sieht diese Teilnehmerliste auf den ersten Blick nicht aus. Darauf stehen unter anderen: Frank Lampard, der mit dem FC Chelsea in der Champions League gegen Bayern München spielt.

Oder Juan Carlos Osorio, der bei der WM 2018 mit der mexikanischen Nationalelf gegen Deutschland gewann. Und dann ist da noch der einzige deutsche Trainer, der an diesem Donnerstag einen völlig neu konzipierten und eher am modernen Management orientierten Kurs des englischen Fußball-Verbandes FA abschließt: Christian Flüthmann, ehemaliger Jugendtrainer von Borussia Dortmund und Ex-Chefcoach von Eintracht Braunschweig.

«Der Fußball ist wie ein Hausbau», sagte der 38-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Eine Komponente reicht nicht aus, um ein stabiles Haus zu bauen. Ähnliches gilt im Fußball-Business.»

Genauso sieht das auch die englische «Football Association». Sie geht davon aus, ihren Absolventen nichts mehr über taktische Systeme oder Eckballvarianten beibringen zu müssen. Im Zentrum des 18-monatigen Lehrgangs stehen deshalb andere Fragen: Wie bringe ich eine Gruppe von Menschen dazu, die Ziele zu verfolgen, die ich vorgebe? Und wie stelle ich dafür ein Team von Experten um mich herum zusammen?

Die Referenten in Flüthmanns Lehrgang arbeiten nach genau diesen Prinzipien, hatten aber in vielen Fällen nichts mit Fußball zu tun. Die FA lud unter anderen einen ehemaligen FBI-Ermittler ein, der der britischen Polizei mittlerweile als Experte für Geiselnahmen dient. Dazu den Leiter eines Musicals und einen Google-Manager.

Die englische Premier League ist sehr global ausgerichtet. Die Clubbesitzer kommen aus den USA, aus Russland oder Abu Dhabi. Die Trainer heißen Jürgen Klopp, Pep Guardiola oder José Mourinho. Deshalb werde auch gerade im englischen Fußball ein so «großer Wert darauf gelegt, sich Input von außen zu holen», so Flüthmann.

Er selbst arbeitete von Juli 2017 bis November 2018 als Co-Trainer von Norwich City. In genau dieser Zeit bot der englische Verband zum ersten Mal seinen neuen Trainerlehrgang an, wie er überhaupt in den 2010er-Jahren alles auf den Kopf stellte, was mit Ausbildung zu tun hat. Die Nationalmannschaft hat über Jahrzehnte zu häufig enttäuscht – also wurde die Talentförderung neu organisiert. In der Premier League gibt es kaum einheimische Trainer – deshalb jetzt der neue Kurs.

«Die Engländer investieren derzeit massiv in die handelnden Köpfe und ihr Know-how», sagte auch Tobias Haupt, der Leiter der neuen DFB-Akademie, der dpa. «Der Trainerlehrgang ist uns bekannt, wir sind regelmäßig mit den Engländern im Austausch und schauen, ob das eine oder andere Thema auch für uns interessant ist. Wir fokussieren uns auch sehr intensiv auf den Bereich der Persönlichkeitsentwicklung.»

Christian Flüthmann hat parallel zu diesem Lehrgang schon einmal eine beinahe komplette Trainerkarriere im Zeitraffer erlebt. Als der Kurs im Januar 2018 begann, war er noch Co-Trainer bei Eintracht Braunschweig. Ein halbes Jahr später beförderte der Club ihn zum Chef und wieder nur viereinhalb Monate später trennte er sich von ihm, obwohl Flüthmann mit der Eintracht auf Platz fünf der 3. Liga stand.

Während der Corona-Zeit schrieb der in Münster geborene Coach dann eine Abschlussarbeit, die genau in diese Corona-Zeit passt. «Der Trainer als Motivator – wie wichtig ist die Selbstmotivation eines Spielers?», lautet der Titel. Alle Bundesliga-Trainer mussten sich zuletzt mit dieser Frage beschäftigen, als ihre Spieler noch allein zu Hause trainierten, weil es kein Mannschaftstraining gab.

Flüthmann hat die Charaktere einer Mannschaft dazu in vier Typen kategorisiert: Musterprofis, Leader, Künstler, Soldaten. Seine These ist, dass in der Zeit der Geisterspiele nicht die besseren Einzelspieler entscheiden, «sondern mehr denn je die Zusammensetzung eines Kaders. Jedes Team braucht jetzt Leader, die auch unter solchen Umständen unbedingt gewinnen wollen.» Aber auch das nur sehr gezielt: «Zwei Alphatiere in einem Zwei-Mann-Sturm – das funktioniert kaum.»

Flüthmann nennt die Corona-Zeit «eine hochspannende Zeit für Trainer». Weil jeder jetzt sieht: «Wen muss ich von außen anschieben? Wer hat einfach Bock, wieder Fußball zu spielen? Und wer kommt vielleicht auch besser damit klar, dass keine Zuschauer im Stadion sind?» Er weiß aber auch: Es ist nicht die einfachste Zeit, um selbst wieder einen neuen Job zu finden. Ob in England oder Deutschland: Flüthmann ist da für alles offen. «Ich sehe es unheimliches Geschenk an, dass ich meine Ausbildung in beiden Ländern genießen durfte.»


(dpa)

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