Klagen, FIFA-Ärger und Paralympics – Der Fall Russland

Lausanne – Thomas Bach und seine Kollegen aus der Exekutive des Internationalen Olympischen Komitee haben den russischen Athleten eine Hintertür zu den Winterspielen in Pyeongchang geöffnet.

Ohne Hymne und Fahne dürfen die Sportler in Südkorea teilnehmen, obwohl das Nationale Olympische Komitee Russlands wegen des riesigen Dopingskandals suspendiert ist. Mit dem Kompromiss will die Ringe-Organisation ein ähnliches Chaos wie im Vorfeld der Sommerspiele in Rio 2016 vermeiden.

Ruhe dürfte mit den Beschlüssen aber kaum eintreten. Schon jetzt liegen 22 Einsprüche von russischen Wintersportlern gegen ihre lebenslangen Sperren beim Internationalen Sportgerichtshof vor. Und mit jeder Ablehnung eines Athleten dürfte auf den CAS weitere Arbeit zukommen. In die Bredouille ist aber auch der Fußball-Weltverband FIFA gerade wegen der Personalie Witali Mutko gekommen.

Wie reagiert Russland auf die Maßnahmen?

Präsident Wladimir Putin will sich für eine Stellungnahme zu den IOC-Strafen Zeit nehmen. Ein Boykott der Sport-Großmacht ist aber eher unwahrscheinlich. Diesbezüglich hatte Russland bereits im Vorfeld der Entscheidung moderate Töne angeschlagen. Am 12. Dezember soll es zu einer «olympischen Versammlung» kommen, auf der die weitere Vorgehensweise besprochen wird.

Welche Möglichkeiten hätte Russland, die Entscheidung anzufechten?

Das Nationale Olympische Komitee Russlands (ROC) könnte Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof gegen seinen Ausschluss einlegen. Wird diesem stattgeben, wäre das Team Russland startberechtigt. Die Erfolgsaussichten sind aber eher gering. Schon den Bann der russischen Leichtathleten hatte der CAS nicht revidiert.

Mit welchen weiteren juristischen Angelegenheiten ist zu rechnen?

Arbeit wird auf den CAS bis zum Olympia-Beginn am 9. Februar auf jeden Fall zukommen. 22 Einsprüche russischer Sportler gegen die lebenslangen Sperren und die Annullierung ihrer Ergebnisse von Sotschi 2014 sind bereits eingegangen. Auch kurz vor den Spielen dürfte es wieder zu einigen Klagen kommen, wenn russische Athleten wegen möglicher Doping-Verstrickungen in Südkorea nicht zugelassen werden sollten. So hatte sich der russische Schwimmstar Julija Jefimowa erfolgreich ins Starterfeld für Rio eingeklagt.

Das IOC hat den russischen Fußball-Verbandschef Witali Mutko für alle künftigen Olympischen Spiele lebenslang gesperrt. Wie geht die FIFA mit der Personalie um?

Erst einmal gar nicht. Die Entscheidung habe keinen Einfluss auf die WM-Vorbereitungen, hieß es in Zürich. Interessant wird sein, ob sich die Ethikkammer mit Mutko befasst. Sollten das IOC und die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA tatsächlich Mutkos Schlüsselrolle im Dopingskandal aufzeigen, könnte das FIFA-Gremium darüber nicht hinwegsehen. Wie handlungsfreudig die Ethikkommission überhaupt ist, bleibt fraglich. Schließlich wurden unbequeme Charaktere wie der Schweizer Chefermittler Cornel Borbély, der deutsche Richter Hans-Joachim Eckert und Miguel Maduro als Chef der Governance Kommission auf Betreiben von FIFA-Chef Gianni Infantino nicht wiedergewählt.

Wer entscheidet in Pyeongchang, welche russischen Sportler starten dürfen?

Eine unabhängige Testeinheit (ITA) unter Vorsitz von Valerie Fourneyron soll die möglichen Olympia-Teilnehmer begutachten. Inbegriffen ist auch eine Task Force, die aus Mitgliedern der WADA, des IOC und weiteren Anti-Doping-Ermittlern besteht. Welchen Wert die IOC-Entscheidung vom Dienstag hat, hängt auch davon ab, wie streng die Einzelfallprüfungen durchgeführt werden.

War die IOC-Entscheidung für Thomas Bach ein Befreiungsschlag?

Bei den Sportverbänden und -organisationen hat Bach gepunktet, weil die IOC-Exekutive deutlich härter mit Russland umging als noch vor den Rio-Spielen. Zu einem Komplett-Ausschluss konnte sich das IOC nicht durchringen. Durch diesen Kompromiss kommen alle Beteiligten gesichtswahrend aus der Angelegenheit. Ob es aber die Skepsis gerade in westlichen Ländern hinsichtlich der Glaubwürdigkeit von IOC und FIFA mindert, ist eher fraglich.

Ist der Start unter neutraler Flagge ein Novum?

Nein. In der Vergangenheit hat es bereits einige dieser Fälle gegeben – aber nie wegen Doping-Verstößen. 1992 starteten Athleten aus dem ehemaligen Jugoslawien im Zuge der UN-Sanktionen wegen des Bürgerkriegs unter olympischer Flagge. Ähnlich verhielt es sich mit indischen Sportlern bei den Winterspielen in Sotschi 2014 sowie Athleten aus Kuwait in Rio 2016, weil die jeweiligen Nationalen Olympischen Komitees suspendiert waren. 2016 hatte auch ein Flüchtlings-Team unter olympischer Flagge teilgenommen.

Wird Russland bei den Paralympics dabei sein?

Das Internationale Paralympische Komitees (IPC) will am 22. Dezember eine Entscheidung zu einem möglichen Ausschluss Russlands treffen – und zwar unabhängig vom IOC-Beschluss. Das IPC gilt als deutlich handlungsfreudiger und hatte – im Gegensatz zum IOC – Russland schon von den Sommerspielen 2016 in Rio ausgeschlossen.


(dpa)

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