Ligastart-Kontroversen: Plastikprodukt oder tolle Ablenkung?

Frankfurt/Main – Die Politik hat zugestimmt, die Bedingungen sind ausgehandelt: Wenn am Samstag der Bundesliga-Spielbetrieb fortgesetzt wird, haben die Duelle von Borussia Dortmund mit dem FC Schalke 04 oder vom 1. FC Union Berlin mit dem FC Bayern mit Normalität aber wenig zu tun.

Einiges spricht dagegen, dass der Ball im Rahmen des geplanten Produkts und unter Geisterspiel-Bedingungen wieder rollt. Man kann dem gebotenen TV-Spektakel aber auch Positives abgewinnen. Die Deutsche Presse-Agentur stellt kontroverse Diskussionsansätze vor:

PRO – Premiumprodukt trotz leerer Ränge

Faktor Ablenkung – Das WM-Finale von 2014 in der «Sportschau», die Highlights des Lieblingsclubs auf der Vereinswebsite: Auf großen Fußball mussten Fans auch in den vergangenen Wochen nicht verzichten. Das Blöde daran: Jeder wusste in der Regel, wie das Spiel ausgeht. Die Fortsetzung der Bundesliga gibt den Fußballanhängern nun ein Stück Wochenend-Normalität zurück und bringt in einer eher tristen Zeit sportliche Spannung in die Wohnzimmer. Endlich kann man wieder mit seinem Club richtig mitfiebern, endlich wieder Schiedsrichterentscheidungen verfluchen. Der Fußball wird ein wenig willkommene Abwechslung ins Corona-Leben vieler Fans bringen.

Faktor Gesprächsthema – Ob zu Hause, am Telefon oder bei der Arbeit: Die Coronavirus-Pandemie bestimmt derzeit wohl den Großteil der Unterhaltungen – und das wird sie auch weiter tun. Aber: Mit dem Fußball kehrt ein neues Gesprächsthema in den Alltag der Fans zurück. Natürlich wird es auch weiter wichtigere Themen geben und natürlich ist vielen Menschen völlig egal, was in den Stadien in München oder Dortmund passiert. Für zahlreiche Bürger ist der Sport aber ein leidenschaftlich verfolgtes Hobby. Mit allem, was dazu gehört: Tippspiele, Managerspiele, Transferspekulationen, Taktikdiskussionen – all das kann es nun bald wieder geben.

Faktor Vorbildfunktion – Das Konzept der Bundesliga kann den anderen Topligen Europas zudem als Blaupause für die Rückkehr zur Normalität dienen. Ob Premier League in England oder Serie A in Italien: Spieler und Funktionäre der großen Ligen werden ganz genau beobachten, was in Deutschland in den nächsten Wochen passiert und können daraus lernen. UEFA-Präsident Aleksander Čeferin sagte: «Ich bin zuversichtlich, dass Deutschland uns allen ein leuchtendes Beispiel dafür geben wird, wie wir den Fußball – mit all seiner Aufregung, Emotion und Unberechenbarkeit – wieder in unser Leben zurückbringen können.»

KONTRA – Plastikprodukt unter Auflagen

Faktor Stimmung – Das Satiremagazin «Extra 3» beschrieb den ab Mitte Mai genehmigten Neustart der Bundesliga in dieser Woche so: «In Stadien, in die kein Fan reinkommt, spielen Spieler, die kaum trainiert haben, für einen Bezahlsender, den fast keine Sau sieht und den man öffentlich nur in Kneipen gucken kann, die erstmal noch zu haben.» Das Saisonfinale wird 2020 definitiv ein anderes, als Fans und Spieler es kennen. Massenansammlungen beim Meistertitel? Tabu. Große Emotionen im vollen Stadion? Fallen aus. DFL-Boss Christian Seifert nannte die Fortführung «den absoluten Notbetrieb». Bisher gab es ein Geisterspiel in der Bundesliga-Geschichte, bis Ende Juni sollen nun 82 weitere folgen.

Faktor gespenstische Atmosphäre – Schon das Premieren-Geisterspiel Gladbach gegen Köln Mitte März machte den Beteiligten kaum Spaß, doch im Vergleich dazu dürfte es nun noch ein ganzes Stück gruseliger werden. Außer den Aktiven müssen alle Beteiligten Mund-Nasen-Schutz tragen, die Bälle werden desinfiziert, mit Ausnahme des Spielfeldes gilt überall Abstand halten, auch auf der Ersatzbank. Es könnte schnell so wirken, als ob ein paar hundert Profis nur noch wie Roboter kicken, damit zum Saisonende die entsprechenden Gelder auf die Vereinskonten fließen und Existenzen gesichert werden können.

Faktor einschneidende Regeln – Bitte nicht mehr gemeinsam jubeln, dazu keine Einlaufkinder und keine Inszenierung. Bei der Aufnahme des Spielbetriebs hat sich der Fußball selbst sämtliche Rituale genommen, die nicht unbedingt notwendig erscheinen und die Hygienemaßnahmen gefährden. Zum Jubel schlug DFB-Boss Seifert jüngst in der «Bild» vor: «Ich hoffe, dass die Spieler an alles denken und schon den Corona-Torjubel üben – selbstverständlich mit Abstand, wenn es irgendwie geht, weil auf den Körperkontakt könnte man dann ja tatsächlich verzichten.» Sich 90 Minuten zu beackern, aber beim Torjubel Abstand halten? Auch das werden Fans für skurril halten.


(dpa)

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