Murray in Wimbledon ausgeschieden – Federer im Halbfinale

London – Mit Leidensmiene schlich Andy Murray aus der Stätte seiner größten Triumphe. Trainer Ivan Lendl saß mit versteinertem Gesicht hinter der dunklen Sonnenbrille auf der Tribüne, Murrays schwangere Frau Kim Sears pustete einmal kräftig durch.

Nach einer rätselhaften Fünf-Satz-Qual ist der Titelverteidiger und Erste der Tennis-Weltranglisten im Viertelfinale von Wimbledon gescheitert. Angeschlagen und geschlagen verließ Murray am Mittwoch den Centre Court, auf dem er 2013 und 2016 das bedeutendste Tennisturnier der Welt gewonnen und 2012 olympisches Gold geholt hatte. «Es ist traurig, dass es vorbei ist», sagte der 30 Jahre alte Schotte, als er nur wenige Minuten nach dem 6:3, 4:6, 7:6 (7:4), 1:6, 1:6 gegen den Amerikaner Sam Querrey zur Pressekonferenz erschien. «Es ist eine enttäuschende Niederlage, vor allem hier in Wimbledon.»

Wenig später war das Turnier auch für den dreimaligen Champion Novak Djokovic beendet. Der 30 Jahre alte Serbe gab in seinem Viertelfinale gegen den Tschechen Tomas Berdych beim Stand von 6:7 (2:7), 0:2 verletzt auf. Berdych bekommt es nun mit dem Top-Favoriten Roger Federer zu tun. Der 35 Jahre alte Schweizer entschied in seinem 100. Wimbledon-Match die Neuauflage des Vorjahres-Halbfinals gegen den Kanadier Milos Raonic mit 6:4, 6:2, 7:6 (7:4) für sich.

Offenbar machten Murray die Hüftprobleme, die ihn vor dem Turnier zu einer mehrtägigen Pause gezwungen hatten, mehr zu schaffen als gedacht – auch wenn er sich nicht detailliert dazu äußern oder sie gar als Entschuldigung gelten lassen wollte. Das ganze Turnier über habe er leichte Schmerzen gehabt, gab Murray zu. «Aber ich habe mein Bestes gegeben und alles versucht. Darauf bin ich stolz.»

Spätestens vom vierten Satz an wirkte Murray körperlich schwer angeschlagen, lief vielen Bällen nicht mehr energisch hinterher, nahm aber keine Auszeit, um sich behandeln zu lassen. «Das hätte nichts gebracht», sagte Murray nur. Er habe immer wieder während seiner Karriere mit Hüftproblemen zu kämpfen. «Und je älter du wirst, desto schwieriger ist es eben, damit umzugehen», sagte der 30-Jährige.

Zwei Tage nach dem Achtelfinal-Aus von French-Open-Champion Rafael Nadal verabschiedete sich damit der zweite Top-Favorit vom Rasengeschehen im Südwesten Londons. Querrey dagegen zog als erster US-Amerikaner seit Andy Roddick 2009 in das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers ein. Im Kampf um den Einzug in sein erstes Finale trifft der 29-Jährige am Freitag auf Marin Cilic. Der Kroate gewann gegen Nadal-Bezwinger Gilles Muller ebenfalls in fünf Sätzen.

«Ich bin noch ein bisschen geschockt, ein Traum ist wahr geworden», sagte Querrey. Ein Jahr nach seinem Drittrunden-Erfolg gegen den damaligen Titelverteidiger Novak Djokovic erwies sich der Kalifornier auf dem Heiligen Rasen wieder einmal als wahrhaftiger Favoritenschreck. «Es fühlt sich großartig an», sagte Querrey.

Die Zuschauer auf dem Centre Court, die sich nach dem im Tiebreak gewonnenen dritten Satz noch begeistert von ihren Sitzen erhoben hatten, verfolgten mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben die Demontage des Weltranglisten-Ersten in den zwei finalen Durchgängen. Nach 2:42 Stunden beendete Querrey vor den Augen der Tennis-Legenden Rod Laver, Ken Rosewall und Richard Krajicek in der Royal Box das am Ende ungleiche Duell beim zweiten Matchball mit seinem 27. Ass.

Auch das dritte Match über fünf Sätze in diesem Turnier nach den Erfolgen gegen Jo-Wilfried Tsonga und Kevin Anderson entschied Querrey für sich. Und sicherte sich bei seinem 42. Grand Slam Platz eins in einer ganz speziellen Statistik: Noch nie hat ein Spieler so lange gebraucht, um bei einem Grand Slam das Semifinale zu erreichen.


(dpa)

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