Alkoholrausch an Karneval: Deutsches Kulturgut mit Risiken

Köln – Alexandra ist als Kölnerin selbst gern im Karneval unterwegs, aber was sich an den tollen Tagen vor ihrer Haustür abspielt, verdirbt ihr die Vorfreude: «Jugendliche in wahlweise Tier-, Piloten- oder Bunny-Kostümen betrinken sich schon morgens mit Hochprozentigem und erleichtern sich dann gerne mal in den Hauseingängen oder zwischen geparkten Autos.»

Alkohol ist ein Riesenproblem im Karneval – doch was in manch anderem Land als Exzess gelten würde, wird in Deutschland unter Folklore verbucht. «Wir gehen sehr laissez-faire mit dem Thema Alkohol um», sagt der Psychologe Reiner Hanewinkel vom Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel.

Folgen von Alkoholkonsum werden unterschätzt

Während die Gesundheitsrisiken des Rauchens schon lange allgemein bekannt sind, werden die Folgen von Alkoholkonsum tendenziell unterschätzt. Häufiges Rauschtrinken könne bei Jugendlichen zu Intelligenzminderung und Konzentrationsstörungen führen, warnt Michaela Goecke, Referatsleiterin
Suchtprävention bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln. Dass ein Glas Rotwein am Tag gesund sei, bezeichnet sie als «Mythos». Zwar enthalte die Schale roter Trauben eine Substanz, die entzündungshemmend sei, «aber das Zellgift Alkohol ist in jedem Fall schädlich».

Das gelte selbst bei kleineren Mengen. So steigere Alkohol das Risiko auf Speiseröhren-, Bauchspeicheldrüsen-, Darm- und Leberkrebs. «Und bei der Frau Brustkrebs. Die Brustdrüse reagiert sehr sensibel auf Alkohol.» Die Bundeszentrale empfiehlt als Richtwert maximal ein kleines Glas Alkohol an fünf Tagen in der Woche bei Frauen, Männer könnten das Doppelte vertragen.

Wenig Verkaufsbeschränkungen

Anders als in vielen anderen Ländern gebe es in Deutschland kaum Verkaufsbeschränkungen für Alkohol, sagt Hanewinkel. «Wir tun uns insgesamt schwer mit staatlich regulierter Gesundheitspolitik. Ich führe es ein bisschen auf unsere Geschichte zurück. Vor dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland bei Prävention führend, etwa bei Impfungen, Hygiene, Brustkrebsuntersuchungen. Dann kam Adolf Hitler mit einem sehr perversen Gedanken von Volksgesundheit, aufgebaut auf Vorstellungen von Rasse und «Ariertum», und danach haben die Deutschen gesagt: «Wir haben die Schnauze voll von einem Staat, der uns sagt, was wir in unserer Freizeit machen sollen.»»

Baden-Württemberg hatte als einziges Bundesland vorübergehend ein nächtliches Alkoholverkaufsverbot an Tankstellen – auch das wurde aber wieder kassiert. «Obwohl man zum Beispiel festgestellt hatte, dass die Krankenhauseinlieferungen aufgrund von Alkoholkonsum zurückgegangen waren», sagt Hanewinkel.

«Das ist mir unverständlich!», sagt auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig. Die CSU-Politikerin hält den nächtlichen Alkoholverkauf an Tankstellen für «ein Ärgernis». «Es wäre sehr wünschenswert, wenn sich die Bundesländer hier auf eine klare, einheitliche Regelung verständigen könnten.»

Ludwig wehrt sich aber dagegen, Volksfeste wie Karneval und das Oktoberfest auf Trinkgelage zu reduzieren – diese Betrachtungsweise ist ihr zu einseitig. «Volksfeste sind deutsches Kulturgut. Und sie sollen es auch bleiben.» Dass Deutschland in Sachen Alkohol nicht so streng sei wie andere Länder, sei zwar richtig. Dennoch sei der Konsum in Ländern mit strengeren Regelungen nicht unbedingt niedriger als in Deutschland.

Die Schweden tränken etwas weniger als die Deutschen, die Franzosen etwas mehr. «Der Alkoholkonsum in Deutschland ist aber insgesamt noch zu hoch», räumt Ludwig ein. «Die langfristige Entwicklung zeigt jedoch in die richtige Richtung: Etwas über 15 Liter reinen Alkohol pro Kopf und Jahr haben die Deutschen noch Anfang der 1980er getrunken, jetzt sind wir bei circa 10 Litern.» Auch beim Jugendschutz gebe es in Deutschland gute gesetzliche Bestimmungen. «Wichtig ist, dass wir die Einhaltung konsequent kontrollieren.»

Doch gerade hier ist Deutschland eher lasch – auf jeden Fall im Vergleich zu anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten. Er habe nur noch recht wenig Haare auf dem Kopf, sagt Professor Hanewinkel, und doch sei es ihm kürzlich in einem amerikanischen Supermarkt nicht gelungen, eine Flasche Bier zu kaufen: «Ich hatte meinen Pass nicht dabei.» Deshalb konnte er an der Kasse nicht beweisen, dass er schon volljährig war.


(dpa)

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