Comeback nach fast 100 Tagen: Premier League startet wieder

London – Jürgen Klopp hat sich damit arrangiert, dass es in Anfield vorerst etwas ruhiger zugeht. «Da muss man sich dran gewöhnen», sagte der Liverpool-Coach nach einem Testspiel vor leeren Rängen, «aber ich mag es.»

Kein Gänsehaut-Moment, wenn die Zuschauer das legendäre «You’ll Never Walk Alone» anstimmen, kein lautstarker Jubel, wenn die Reds den nächsten Gegner auseinandernehmen – aber immerhin wird ab dieser Woche wieder Fußball gespielt. Und Klopps FC Liverpool kann sich endlich den hochverdienten Titel sichern.

Die erste Meisterschaft der Reds seit 30 Jahren ist bei 25 Punkten Vorsprung nur noch Formsache. Schon am Sonntag könnten die Reds im Lokalderby in Everton den Titel feiern, wenn Titelverteidiger Manchester City am Mittwoch gegen Arsenal verliert. Hingegen sind das Rennen um die Champions-League-Plätze und der Kampf gegen den Abstieg in England noch lange nicht entschieden.

Nicht nur Liverpool-Anhänger hatten in den letzten Wochen neidisch nach Deutschland geschaut. Die Bundesliga galt auf der Insel als Vorbild für die Premier League und wurde zum TV-Highlight für Fans, die Wiederholungen historischer Fußballspiele langsam satt waren.

Die Entscheidung zum sogenannten Re-Start war anfangs allerdings sehr umstritten. Mit mehr als 41.000 nachweislich infizierten Toten ist Großbritannien eines der am schwersten vom Coronavirus betroffenen Länder in Europa. Dass trotz der dramatischen Auswirkungen wieder Fußball gespielt werden soll, sorgte für Kritik. Auch einige Spieler äußerten Bedenken und sprachen von Angst um ihre Gesundheit.

Doch die kritischen Stimmen verstummten zunehmend. Die Liga führte aufwendige Sicherheitsmaßnahmen mit regelmäßigen Tests ein und verordnete allen Beteiligten strenge Regeln – kein Spucken oder Naseputzen auf dem Platz, Torjubel nur mit Abstand zu den Teamkollegen. Es wird auch keine Balljungen und -mädchen geben, stattdessen soll der Ball immer wieder durch ein desinfiziertes Exemplar ausgetauscht werden.

Sportlich geht es an den neun verbleibenden Spieltagen um viel. Leicester City (Platz 3/53 Punkte), der FC Chelsea (4/48), Manchester United (5/45) und sogar die Wolverhampton Wanderers (6/43) kämpfen um die Königsklasse, für die in dieser Saison Platz 5 reichen könnte. Der Tabellenzweite Man City wurde wegen Verstoßes gegen das Financial Fair Play von der UEFA für zwei Jahre aus dem Europa-Pokal verbannt. Anfang Juli soll sich vor dem Internationalen Sport-Gerichtshof Cas entscheiden, ob die Sperre Bestand hat.

Spannend wird es auch in der unteren Tabellenhälfte. Mindestens sieben Vereine stecken noch im Abstiegskampf. Mit dem 13. Newcastle United könnte ein weiterer dazukommen. Bei den Magpies herrscht mal wieder Unruhe. Die geplante, umstrittene Übernahme durch ein Konsortium aus Saudi-Arabien droht zu scheitern und könnte den Club ins Chaos stürzen.

Am schlechtesten sieht es für Norwich City aus. Der Aufsteiger mit dem deutschen Trainer Daniel Farke war furios in die Saison gestartet. Doch inzwischen ist Norwich Tabellenletzter mit sechs Punkten Rückstand auf das rettende Ufer.

Anders als in Deutschland werden in England üblicherweise selbst im Pay-TV nicht alle Spiele live übertragen. Das ändert sich nun. Einige Partien werden sogar im Free-TV gezeigt. Auch in England wird es bei der TV-Übertragung wahlweise eine Tonspur mit künstlicher Stadionatmosphäre und Publikumslärm geben. Der britische Sender Sky Sports lässt die Zuschauer sogar über Fangesänge abstimmen.

Fast 100 Tage liegt die letzte Premier-League-Partie zurück. Am 9. März fertigte Champions-League-Aspirant Leicester City den Aufsteiger Aston Villa mit 4:0 ab. Die Teams hatten vor dem Spiel die Anweisung bekommen, nach dem Abpfiff nicht die Hände zu schütteln. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welche dramatischen Monate Großbritannien noch bevorstanden. Vor dem Anpfiff wird den Opfern der Corona-Pandemie mit einer Schweigeminute gedacht.


(dpa)

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