Kein großes Rätsel um Löw – «Auf die Zukunft freuen»

München (dpa) – Die Spieler sind im Urlaub, der Bundestrainer ist abgetaucht. Und Joachim Löw hat die Fußballnation nach dem verpassten EM-Finale durchaus irritiert.

Der Nationaltrainer brachte nicht gleich nach dem 0:2 gegen den Turniergastgeber im Halbfinale von Marseille ein einfaches, klares «Ja» zu seiner Zukunft über die Lippen. Das Rätselraten um den 56-Jährigen ist aber nicht wirklich eines, vielmehr pflegt Löw ein schon gewohntes Turnierritual.

Der Weltmeistercoach wollte zwei Jahre nach dem Triumph in Brasilien mit dem EM-Titel eine Ära prägen. Alle Kraft, alle Energie steckte er mit seinen Spielern und seinem Stab seit dem Vorbereitungsstart am 24. Mai in dieses Ziel. Die Niederlage in Marseille stürzte Löw in eine Leere. Fragen zur Zukunft sind das Letzte, was Löw in so einem Moment hören und beantworten möchte. Das war nach dem EM-Aus 2012 so, das war nach dem WM-Triumph 2014 so.

Schon vor dem Halbfinale gegen Frankreich hatte der DFB-Chefcoach seinen Gemütszustand nach dem Turnierende beschrieben. «Das Gefühlsleben ist ein anderes. Wenn ein Turnier nach sieben Wochen Zusammensein, Arbeit, ständigen Aufgaben und viel Kommunikation zuende und man den ersten, zweiten Tag wieder zu Hause ist, dann fragt man sich: Was soll ich eigentlich tun?», sagte Löw.

Einfach umschalten auf die kommenden Aufgaben ist für Löw nicht möglich. «Ein Turnier ist eine sehr intensive Zeit für Jogi. Ich weiß, dass er danach immer Kraft tanken will, ein bisschen Abstand bekommen will», berichtete Teammanager Oliver Bierhoff, seit zwölf Jahren einer der engsten Wegbegleiter von Löw beim DFB.

Wie lange die Niederlage gegen Frankreich gerade auch bei Löw, der das 0:2 spontan als völlig unverdient empfand, nachwirken wird, ist unklar. «Das ist schwierig zu beantworten», sagte der Bundestrainer vor der Abreise aus Marseille. DFB-Präsident Reinhard Grindel will Löw «einige Tage der ruhigen Analyse des Turniers zubilligen» und dann «gemeinsam mit Jogi Löw den Weg in Richtung Titelverteidigung 2018 in Russland gehen». Bis dahin läuft Löws Vertrag beim DFB.

Das Szenario ist nicht neu: Nach der EM 2012, als das Halbfinal-Aus gegen Italien auch eine scharfe öffentliche Debatte über den Trainer auslöste, brauchte Löw eine längere Zeit bis zum klaren Bekenntnis. Und nach seinem ersten Titelgewinn mit der Nationalmannschaft 2014 in Brasilien ließ er ebenfalls mehr als eine Woche verstreichen, bevor er offiziell den Verbleib in seinem Job bestätigte.

Löw hat aber als Bundestrainer noch ein Lebensziel, das er in seiner Neujahrsbotschaft für 2016 verkündete. Die EM in Frankreich stufte er da nur als «wichtiges Zwischenziel» auf dem Weg nach Russland 2018 ein. «Ich glaube, dass es etwas ganz, ganz Besonderes ist, wenn wir es schaffen würden, den Weltmeistertitel zu verteidigen. Das hat noch keine deutsche Mannschaft in der Geschichte geschafft.» Löws Mission als Bundestrainer ist also noch nicht erfüllt – und die EURO 2016 war ja kein Desaster, das ihn zu einem Rücktritt veranlassen müsste.

«Wieder unter die letzten Vier zu kommen, ist einfach ein Erfolg», urteilte Manager Bierhoff: «Wir waren die jüngste Truppe. Viele junge Spieler haben Erfahrung sammeln können. Ich bin sehr zufrieden, wie sich die Mannschaft verkauft hat.» Ein weiteres Indiz ist, dass noch vor dem Halbfinal-Aus durchsickerte, dass Marcus Sorg als zweiter Assistent von Löw beim Nationalteam bleiben wird. Solche Weichen stellt die Sportliche Leitung nicht umsonst frühzeitig.

Mit Grauen wird der Turniertrainer Löw, der die «großen K.o.-Spiele liebt», eher an den eher tristen Länderspielalltag der kommenden knapp zwei Jahre bis zur WM-Endrunde in Russland denken. Der Neubeginn erfolgt für ihn und die Nationalmannschaft am 31. August in Mönchengladbach mit einem Freundschaftsspiel gegen Finnland. Danach startet die WM-Qualifikation mit Pflichtaufgaben gegen Norwegen, Tschechien, Nordirland, Aserbaidschan und San Marino. Nur der Gruppensieger löst direkt das Ticket nach Russland.

Löw wird dann gefordert sein, neue Reize zu setzen – auch personell. Dankbarkeit für verdiente Weltmeister (Schweinsteiger, Podolski) muss er nicht mehr zeigen. Die Dreierkette kam schon jetzt gegen Italien erstmals zum Turniereinsatz. «Man kann sich trotzdem auf die Zukunft freuen», bemerkte Torwart Manuel Neuer nach dem K.o. in Marseille beim Blick nach vorne: «Ich denke, dass wir eine sehr gute Mischung in der Mannschaft haben.» Das Comeback von Mario Gomez hat auch Löw offenbart, wie wertvoll klassische Stürmer sind. Pech waren die Ausfälle von Gomez, Hummels und Khedira gegen Frankreich. Zudem hatte Thomas Müller bei der EM einen fußballerischen Burnout.

Neuer, Boateng, Hummels, Kroos, Özil, Müller – ein stabiles Gerüst ist da. Der 22-jährige Julian Draxler deutete seine Fähigkeiten an. Die Turnierdebütanten Jonas Hector und Joshua Kimmich lösten ihre Aufgaben ordentlich. «Vor der EM hat man viel Negatives gehört, von unseren Problemzonen gesprochen. Die beiden haben es sehr gut gemacht», sagte Torwart Neuer. «Um gute Spieler müssen wir uns wenig Sorgen machen die nächsten Jahre», meinte auch Mats Hummels. So dürfte das auch Löw sehen, wenn der Schmerz über das verpasste EM-Finale, bei dem der Bundestrainer und seine 23 EM-Spieler am Sonntag nur Zuschauer am TV-Gerät sein durften, nachlässt.

[DPA_MEDIA id=“urn-newsml-dpa-com-20090101-160710-99-629738:1468144692000″]

(dpa)