Straßenkick, PSG und Sacré-Cœur

Paris (dpa) – Gleich hängt er an der Lampe. Mit wenigen Handgriffen zieht Iya Traoré seinen durchtrainierten Körper mehrere Meter die alte Straßenlaterne hinauf. Dahinter: die Traumkulisse von Paris. Mit kleinen Kicks hält Traoré einen Fußball in der Luft.

Oben angekommen folgen weitere Szenen zwischen Akrobatik und Fußballspiel. Klatschen, Grölen, Jubel – die Menge auf der breiten Treppe ist begeistert.

Die Stufen vor der Basilika Sacré-Cœur de Montmartre gelten als angenehmer Platz, um die Stadt der Lichter von oben zu bewundern. Der 29-Jährige hat sich hier einen Stammplatz erspielt. Eine Mauerbalustrade ist seine Bühne, daneben die Laterne. Als Kulisse dienen Wallfahrtskirche und das Häusermeer der Metropole. Es gibt weniger attraktive Arbeitsplätze in Paris.

«Ich habe Fußball immer geliebt, schon in meinem Dorf Kibea», erzählt Traoré aus seiner westafrikanischen Heimat Guinea. Mangels Trikot spielten sie mit nacktem Oberkörper. «Ich hab im Laden Bilder von den bekannten Spielern gesehen, Fernsehen hatten wir nicht, und da gab es Bälle aus Leder.» Traoré improvisierte: «Ich habe einen alten Strumpf genommen und alles mögliche reingesteckt – voilà, das war mein Ball.»

Sein Vater holte ihn in die Hauptstadt Conakry, wo er neben der Schule Leuten beim Einkaufen half, Schuhe putzte, sparte, sein Geld versteckte, bis es für einen Ball reichte. Das Leder sicherte ihm einen Platz beim Ibrahim FC. «Die wollten meinen Ball fürs Match. Da hab ich gesagt: nur wenn ihr mich aufstellt.» Der Trainer war vom Dribbeltalent so begeistert, dass er Traoré in den Angriff schickte.

Vater Traoré mochte Fußball nie, auch nicht, als er Sohn Iya mit 13 nach Paris kommen ließ. Er musste seine Ausbildung machen und an Vaters Stand für afrikanisches Kunsthandwerk aushelfen. «Aber ich war jede freie Minute mit dem Ball unterwegs.» Das Fußballtalent blieb nicht unentdeckt: Als Jugendlicher spielte Traoré für Espérance Sportive Parisienne, Paris FC und schließlich PSG, Paris Saint-Germain. «Davon träumen alle Jugendlichen in Frankreich.»

«Aber PSG war am anderen Ende der Stadt, ich war bis zu einer Stunde unterwegs.» Und am Stand des Vaters zählten selbst Spieltage nicht: Arbeit ist Arbeit. «Schule, Arbeit, der lange Weg – das war zuviel», erinnert sich Traoré, «ich war gut, aber nicht der Beste der Besten.»

Das Aus bei PSG machte ihn traurig, aber er erinnert sich an die Begegnung mit Ronaldinho. Die Stars trainierten damals noch neben den Youngsters. ««Du bist gut, du hast was, du musst weitermachen», hat er zu mir gesagt.» Traoré ist noch immer sichtbar stolz darauf.

Der Ball blieb jede freie Minute bei ihm, ein bisschen daddeln geht immer. Auch eines Tages auf den Champs-Élysées: «Ich hab rumgekickt und plötzlich wirft einer Geld in einen Eisbecher, der da rumlag.» Traoré mochte es zunächst nicht glauben – aber damit ließ sich was verdienen. Trocadéro, Eiffelturm, Châtelet – er spielte, wo Touristen waren. Und überall rückten ihm andere mit Fußbällen auf den Leib.

Auch in Montmartre muss Traoré seinen lukrativen Platz verteidigen. «Aber ich hab hier eine Genehmigung, ich zahle Steuern – das ist mein Platz», sagte er – bevor wieder ein Fan im Fußballtrikot vorbeikommt und die nächste Show mit athletischen Balltricks einfordert.

Für ein Ticket bei einem der EM-Spiele reicht es dennoch nicht. «Das ist viel zu teuer, das Geld brauche ich für Essen, die Familie». Zwei Söhne hat er inzwischen. Und einen großen Fernseher an der Wohnzimmerwand. Da schaut er dann am Sonntag zu, wenn ein paar Kilometer weiter im Stade de France das Finale gespielt wird.

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(dpa)