Schwimm-Cheftrainer Lambertz fühlte sich entmachtet

Kassel – Henning Lambertz tritt nicht nur wegen familiärer Gründe, sondern auch wegen der Konzepte des neuen Leistungssportdirektors Thomas Kurschilgen als Chef-Bundestrainer des Deutschen Schwimmverbands (DSV) zurück.

«Diese Ansätze waren nicht mit mir kompatibel», sagte Lambertz dem Deutschlandfunk in einem Interview. «Der neue Sportdirektor hat andere Ideen und Strategien, als ich sie hatte, wie er mit dem Verband erfolgreich sein möchte.» Der frühere Leichtathletik-Funktionär Kurschilgen hatte sein Amt im September angetreten.

Lambertz kritisierte insbesondere die Einrichtung eines «Teams Tokio», mit dem der Verband die Olympischen Sommerspiele 2020 vorbereiten wollte. Dies habe faktisch zu einer Entmachtung des Cheftrainers geführt. «Ich denke, derjenige, der verantwortlich ist für das Abschneiden, sollte auch die Möglichkeit besitzen, die Entscheidungen zu treffen», sagte der 48-Jährige. Das sei aber durch die Team-Struktur nicht der Fall.

Mit vereinten Kräften und einem Kompetenzteam aus mehreren Trainern will der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) nun seine große Personal-Misere meistern. Der DSV bekräftigte, bis zu den Spielen in gut anderthalb Jahren keinen Nachfolger für Lambertz einzustellen. Stattdessen soll das «Team Tokio 2020» die Becken-Asse nach zwei olympischen Nullnummern wieder erfolgreicher machen.

Kurschilgen erläuterte in einer Verbandsmitteilung das Konzept: «Unsere oberste Prämisse in einem DSV-Team Tokio 2020 wird es sein, alle potenziellen Anwärterinnen und Anwärter für die Olympischen Spiele 2020 bestmöglich zu fördern und das bestehende Know-How in einem synergetisch arbeitenden Kompetenzteam zu bündeln.»

Konkret heißt das: Mehrere Trainer sollen mit Experten aus den Bereichen Gesundheitsmanagement, Trainingswissenschaft und Ernährungswissenschaft zusammenarbeiten. Mit vereinten Kräften versuchte es der Verband auch nach dem Ende von Dirk Lange als Bundestrainer vor den Spielen in London. Damals ging das Beckenteam leer aus, so wie auch vier Jahre später unter Lambertz in Rio.

Kurschilgen ist beim DSV als Krisenmanager gefragt, vor knapp zwei Wochen musste er bereits den Rücktritt vom Präsidentin Gabi Dörries moderieren. «Der DSV ist nun ein verlassenes Waisenkind, ich hoffe, es gibt einen Neustart, der anders ist als das, was bisher als neu galt», sagte Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen der Deutschen Presse-Agentur. Sie würde Dörries ins Amt zurückbitten und glaubt für die Zukunft bestenfalls an Einzelerfolge der Schwimmer.

Der nächste Gradmesser wird im kommenden Jahr die WM im südkoreanischen Gwangju. Spätestens in Tokio müssen die Schwimmer dann liefern. Dort sollen sie nach einem «amerikanischen Modell» betreut werden. Das bedeutet: Ein Coach aus dem Trainerteam führt die Nationalmannschaft in enger Zusammenarbeit mit dem Leistungssportdirektor. «Team Tokio 2020 wird eine Leistungspartnerschaft auf der Basis von Vertrauen, Innovation und Kompetenz sein», sagte Kurschilgen.

Innovativ und kompetent war auch Lambertz, der am 20. Dezember familiäre Gründe für seinen Rückzug genannt hatte. Der 48-Jährige setzte auf Reformen, führte härtere Qualifikationsnormen für den Saisonhöhepunkt sowie ein Kraftkonzept ein und forcierte die Zentralisierung. Damit machte er sich nicht nur Freunde. Nicht alle Trainer im DSV vertrauten ihm. Vor allem rund um die größtenteils enttäuschende WM 2017 in Budapest gab es immer wieder Kritik am Chefbundestrainer.

Nun sind auch diejenigen gefordert, die mit Lambertz nicht so gut zurecht kamen. Die Bundesstützpunkttrainer und persönlichen Coaches der Schwimmer bekommen mehr Verantwortung. Ihre Aufgabe ist alles andere als leicht. Zwar machten die Europameisterschaften im vergangenen Sommer mit zweimal Gold, zweimal Silber und viermal Bronze ein wenig Hoffnung, doch zur absoluten Weltspitze und damit zu olympischem Edelmetall fehlt noch ein gutes Stück.


(dpa)

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