Augen zu und durch: HSV auf dem Weg durch die Wirren

Hamburg – Es bebt und kracht in den Führungsgremien des Hamburger SV, aber auf dem Rasen soll alles wie geschmiert laufen. Der neue Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen hat das Dilemma erkannt und zieht sich bis zum Beginn der Winterpause von vorderster Front zurück.

«Keine Unruhen im Team!», fordert der neue starke Mann. Der zarte Aufwärtstrend des Fußball-Bundesligisten mit zwei Siegen und zwei Remis in den vergangenen vier Spielen soll nicht durch Umwälzungen, neue Köpfe oder neue Ideen gestört werden. In Mainz am Samstag und zu Hause gegen Schalke am nächsten Dienstag soll gepunktet werden, denn der HSV will den Relegationsplatz verlassen.

Trainer Markus Gisdol würde sein Team wegen der Turbulenzen am liebsten unter Schutzatmosphäre und Medienentzug stellen. Weil das nicht geht, vertraut er auf den Selbstreinigungseffekt. «In den letzten Wochen ist uns das gut gelungen. Wir haben uns auf die Kernaufgaben konzentriert. Die Mannschaft ist vorbildlich vorangegangen, was Geschlossenheit und Zusammenhalt angeht.»

Dass der entmachtete Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer bis zum Jahresende weiterhin als Sportchef tätig sein darf, mutet bizarr an, ist aber Not und Vernunft geschuldet. Beiersdorfer soll und muss voranbringen, was er nach Gisdols Wünschen eingefädelt hat: die Verstärkungen für Abwehr und defensives Mittelfeld. Seit acht Wochen, so Gisdol, werden die Transfers vorbereitet. In der aktuellen Situation sei Beiersdorfer die sinnvollste Lösung, sagt der Trainer. «Das kurzfristig in andere Hände zu geben, halte ich nicht für sinnvoll.»

Nicht ausgeschlossen, dass Beiersdorfer als Sportchef bleibt. Denn bis zum Abschluss der Transferperiode, also Ende Januar, werde wohl kein Nachfolger gefunden, bekennt Bruchhagen vorsorglich. Was nur heißen kann: Entweder wirft sich der 68-Jährige im Januar selbst ins Transfer-Getümmel oder er lässt das «Didi» machen. Der hat sich zwar noch nicht geoutet, ob er denn überhaupt bleiben will nach seiner Degradierung, hat aber über die Feiertage Zeit zum Nachdenken.

Ein weiteres Plus für Beiersdorfer: Bruchhagens wichtigster Punkt im Anforderungskatalog besagt, der Sportchef müsse zum Trainer «zu 100 Prozent kompatibel» sein. Ein Gespräch mit Bruchhagen hat bereits stattgefunden. Details will Gisdol nicht verraten, den Kernsatz hält er aber nicht zurück: «Die Zusammenarbeit mit ‚Didi‘ ist nach wie vor sehr gut.»

Merkwürdig berührt ist Gisdol schon. Vor zwölf Wochen holte ihn Vorstandsboss Beiersdorfer als Nachfolger von Bruno Labbadia, Mediendirektor Jörn Wolf wies ihn in die HSV-Tücken ein und Aufsichtsratschef Karl Gernandt wünschte ihm Glück. Heute sind alle nicht mehr in Amt und Würden. «Es ist eigenartig, wie schnell sich manche Situation entwickelt», staunt Gisdol.

Als nunmehr wichtigste Konstante in dieser Gemengelage reist er mit der Mannschaft zum Spiel nach Mainz. Seine krisengeschüttelte Truppe ist hungrig auf das fünfte ungeschlagene Spiel am Stück. «Ich versuche, alles drumherum auszublenden. Ich will mich nicht von Nebenkriegsschauplätzen ablenken lassen», beteuert der Coach. Begleitet wird er von Beiersdorfer, dem Noch- oder Vielleicht-noch-länger-Sportchef.


(dpa)

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